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Vincent, ein junger, extrem talentierter Bursch, befindet sich in den Klauen einer dubiosen Medienfirma. Und Vincent wird ausgenutzt. Er leidet. Sein Hund stirbt. Seine Freunde wenden sich von ihm ab. Sein Haus brennt nieder. Und je mehr Vincent leidet, je tiefer er im Kummer versinkt, desto hochwertiger wird seine Kunst - denn das ist das Credo derjenigen, die ihn ausnutzen . . .
Nein, wir spinnen hier nicht die Geschichte jenes 21-jährigen Wieners weiter, der vor kurzem zum ORF-Musicalstar gewählt wurde, sondern wir befinden uns mitten in der Uraufführung von Joey Goebels Drama "Vincent - Torture the Artist" im "Salon5" in der Fünfhausgasse 5. Es mag ein Zufall sein, dass Wiens jüngstes Theater für seine Eröffnung am 15. Jänner ausgerechnet dieses Stück gewählt hatte - doch nächsten Samstag wird Vincents tragisches Schicksal wohl schon wieder in Vergessenheit geraten: Am 23. Februar werden nämlich ab 15.30 Uhr jene Märchen der Gebrüder Grimm erzählt, die in den meisten heimischen Kinderzimmern bis dato unbekannt sind. Und von den Abenteuern des Meisterdiebs, des wunderlichen Spielmanns oder des merkwürdigen Herrn Korbes können nicht nur Kinder, sondern auch noch Erwachsene etwas lernen. So differenziert das Programm im "Salon5" ist (am 6. März hat dann der tiefsinnige Monolog "Das Fieber" von Wallace Shawn Premiere), so heterogen soll auch das Publikum sein, wünscht sich die Theatergruppe "iffland & söhne", die für den "Salon5" verantwortlich zeichnet und nun nach mehr als zehn Jahren freiem Theater quer durch Europa in Wien-Fünfhaus sesshaft geworden ist.
Erfolg mit buntem Programm. Vermutlich ist Vielseitigkeit das beste Rezept, um in der bunten Wiener Theaterszene überleben zu können - gibt es doch neben den ganz Großen wie Burgtheater, Volkstheater, Josefstadt etc. auch noch eine ganze Menge Klein- und Mittelbühnen, die untereinander um Zuseher buhlen. Auch wenn die wenigsten Theatermacher von einer echten Szene in der Hauptstadt sprechen wollen, weil der Kontakt zwischen den einzelnen Bühnen nicht zuletzt durch die Wiener Theaterreform minimal ist. Mit der Stadt Wien muss jeder für sich über Subventionen verhandeln - "und wie hoch die ausfallen, hängt davon ab, wie weit man das Spiel mitspielt", meint Bruno Max launig. Mit seiner "Scala" an der Wiedner Hauptstraße hat er sich einen Schauspielertraum erfüllt und für sein "Theater zum Fürchten" ein eigenes Haus gekauft und adaptiert. "Der Standort hat vorher ein Hotel beherbergt, dann ein Kino, eine Diskothek, einen Supermarkt und einen Boxklub - seit 1995 ist das Scala-Theater drin", erzählt Bruno Max, dessen Theaterverein somit standorttechnisch sein eigener Herr ist. Das hat natürlich Vor- und Nachteile: "Einerseits habe ich hier die wunderbare Möglichkeit, das zu produzieren, was ich gerne machen und sehen möchte. Andererseits bin ich finanziell auf mich allein gestellt, wenngleich wir durch die Zusammengehörigkeit mit dem Mödlinger Stadttheater Synergien ausnutzen können. Natürlich sind auch wir abhängig von Subventionen, aber wer ist das nicht? Selbst das weltweite Erfolgsmusical Cats musste hier in Wien subventioniert werden." Denn zumindest in Wien scheint das potenzielle Publikum dünn gesät zu sein. "Keine zehn Prozent der Bevölkerung gehen regelmäßig ins Theater", zitiert Max das Ergebnis einer Umfrage, die vor einiger Zeit zu diesem Thema durchgeführt wurde. Hier sollen etwa das "Theater der Jugend" und das "Theater Akzent" ansetzen, die sich (auch) an junges Publikum wenden. Ob die Schüler, die mit ihren Lehrern oder Eltern dorthin kommen, später auch von selbst passionierte Theatergeher werden, bleibt freilich abzuwarten.
Wer bei den Erwachsenen punkten will, braucht jedenfalls ein markantes Profil, um sich abzuheben. Und so hat auch Bruno Max sein "Theater zum Fürchten" sicher nicht von ungefähr so genannt. Der Name ist zwar nicht unbedingt Programm - starke Gefühle werden bei den Zusehern aber allemal erzeugt: "Am 26. März gibt es zum Beispiel ein gastrosophisches Bankett zum Thema Kannibalismus - ich bin schon gespannt, wie viele Besucher dann auch noch das Dessert runterbringen", meint der Intendant verschmitzt. Überhaupt ist er der Meinung, dass "Theater auch kontroversiell sein darf, das Publikum darf begeistert sein oder empört - nur eines ist eine absolute Todsünde: Langeweile". Egal ob Shakespeare-Klassiker oder moderne Stücke, "wichtig ist, dass das, was sich auf der Bühne abspielt, stimmig ist; man muss die Geschichten ehrlich erzählen und darf das Publikum nicht enttäuschen, dann kommt es wieder".
Nischen suchen. Während an der Wiener "Scala" das Repertoire der Eigenproduktionen nicht nur sehr groß, sondern auch breit gefächert ist, haben andere Häuser sich bewusst Nischen gesucht. Die "Freie Bühne Wieden" beispielsweise ist spezialisiert auf Uraufführungen österreichischer Autoren - ein Konzept, das sich offenbar bewährt: Das Haus ist regelmäßig voll, und rund 80 Prozent des Publikums sind Stammgäste.
Im Café Prückel, wo seit vergangenem November Lesungen stattfinden, ist es für eine solche Bilanz noch zu früh. Die ersten drei Monate lassen aber Gutes hoffen. Unter dem Titel "Kunst im Prückel" wird hier unter der künstlerischen Leitung der Schauspielerin Brigitte Karner eine Institution wieder zum Leben erweckt, die schon vor dem Zweiten Weltkrieg existierte. Im Keller des Ringstraßencafés wurde nämlich 1931 "Der liebe Augustin" gegründet, eine Kleinkunstbühne, die später von den Nazis geschlossen wurde; nach dem Krieg waren unter anderem das "Theater der Courage" oder das "Studententheater" hier beheimatet, in den vergangenen Jahren stand die Lokalität allerdings leer. "Ich wollte diesen geschichtsträchtigen Raum auf keinen Fall ungenutzt lassen", erklärt Prückel-Chefin Christl Sedlar, die angesichts ihrer bescheidenen Mittel - "Wir bekommen keine Subventionen, und so können wir die Werbetrommel nicht allzu laut rühren." - zufrieden mit dem bisherigen Erfolg ihres Lesetheaters ist. "Aber ich will nix verschreien . . ."
Einen besonderen Schwerpunkt hat auch das "International Theatre" gesetzt: Das Etablissement in der Porzellangasse ist quasi das kleinere Gegenstück zum "English Theatre", und sogar auf der Website ist die einzige Sprache Englisch.
Die "Drachengasse" wiederum betont in ihrem Internetauftritt, dass das dort gezeigte "zeitgenössische Theater, das intelligente Unterhaltung und anregende Konfrontation bietet", sich vor allem an Frauen wendet. Das gilt übrigens auch für das "KosmosTheater", das besonders weibliche Kunst fördert, sei es in den Bereichen Theater, Tanz, Musik, Performance, Kabarett oder Literatur. Im "TAG - Theater an der Gumpendorfer Straße" gibt es am 23. Februar sogar eine Zusatzvorstellung für stillende Mütter. Babygeschrei ist bei dieser Aufführung von "Goldene Zeiten", einer Endzeitkomödie des US-Autors Richard Dresser über Konsumwahn, Kirche, Kriminalität und Klimawandel, also garantiert - was an die Darsteller, die ja sonst nicht einmal durch den Blitz von Fotoapparaten gestört werden dürfen, besondere Anforderungen stellt. Da es sich aber wie bei allen Ensembles der Wiener Mittelbühnen um Berufsschauspieler handelt, braucht man sich wohl keine Sorgen zu machen. Das "TAG" - als indirektes Produkt der Theaterreform im November 2004 aus den drei freien Gruppen "L.U.S.Theater", "urtheater" und "Theater KINETIS" hervorgegangen - ist übrigens ein weiteres Beispiel für einen relativ jungen Player, der sich gegenüber älteren Etablissements bewähren muss: In der heutigen Form existiert es nämlich erst seit 13. Jänner 2006.
Geheimtipp im Hinterhof. Eine kürzere Lebensdauer war leider dem Projekt "Mi-Ma-Musch" im Ragnarhof in Wien-Ottakring beschieden. 25 Schauspieler, Autoren und Performance-Künstler hatten sich im vergangenen Herbst zusammengetan, um ein Experiment zu starten: Die Damen und Herren funktionierten das Theater zu einem Salon um und tauchten gemeinsam mit dem Publikum in Separées in das Rotlichtmilieu der 1920er Jahre ein, mit Chansons, Tanz und einschlägigen Zitaten - der Aktionsraum der Künstler wurde gleichsam zu einem Etablissement der Verführung. "Für Publikum und Darsteller war es eine interessante Erfahrung, weil viel Spielraum offen blieb. Das Ganze lief auch extrem gut - aber dann ist leider unser Ansuchen auf weitere Subventionen dreimal abgelehnt worden, und die Sponsoren sind ausgestiegen", erzählt Martina Luef, eine der beteiligten Künstlerinnen. Das Hauptproblem war, dass im Vorhinein schwierig vermittelt werden konnte, wo das Projekt dann tatsächlich hinführen würde, meint Luef: "Und da war wohl der Mut der Protagonisten größer als jener der Geldgeber."
Dafür konnte im Herbst 2006 ein neues Theater aus der Taufe gehoben werden: Im ehemaligen "Schubert-Kino" an der Währinger Straße 46 hat sich das "Schubert-Theater" etabliert, das in der vorigen Saison mit dem Erfolgsduo Muckenstrunz und Bamschabel aufwarten konnte. Momentan stehen Samuel Beckett und Alessandro Baricco auf dem Programm. Angesichts des eher versteckten Standorts in einem Hinterhof kann man hier getrost von einem Geheimtipp sprechen.
Einen ganz speziellen kulturellen Auftrag erfüllt das "Jüdische Theater Austria", das seit einiger Zeit an einer Lokalität mit dem vielsagenden Namen "The Window" verschiedene Festivals veranstaltet. Durch das Fenster des kleinen Veranstaltungsraumes in Wien-Neubau kann man nämlich auch von außen mitverfolgen, was sich drinnen abspielt. Eigentlich wollte der New Yorker Jude Warren Rosenzweig, seines Zeichens Gründer des "Jüdischen Theaters Austria", vor sechs Jahren das ehemalige "Theater im Nestroyhof" wieder zum Leben erwecken. Schließlich galt die Praterstraße in den 1920er Jahren mit ihren zwei Dutzend Bühnen als so etwas wie der Broadway von Wien. Der alte Theaterraum im Nestroyhof ist aber mittlerweile zugemauert und wurde zuletzt als Supermarkt genutzt. Eine Revitalisierung wäre zwar auch im Sinne des Hausbesitzers Martin Gabriel - allein, es wird darüber gestritten, wie diese erfolgen soll. Mittlerweile gab es im Zuge dieser Auseinandersetzung auch schon mehrere Gerichtsverfahren, die sich um angebliche Hakenkreuze im Keller und die Domain www.nestroyhof.at drehten. Erschwerend kommt nämlich hinzu, dass das Haus seinerzeit von den Nazis arisiert wurde. Und naturgemäß betonen beide Seiten, dass sie prinzipiell zur Kooperation bereit seien und der jeweils andere auf stur stelle. Die Zukunft des Nestroyhofs als Theaterstandort ist also eine ungewisse . . .
Jedem sein eigenes Theater. Andernorts ist hingegen die Anknüpfung an frühere erfolgreiche Epochen des Wiener Varietés gelungen: nämlich in Floridsdorf, das sich in den vergangenen Jahren zunehmend als Brutstätte für eine vielschichtige Kunst- und Kulturszene erweist. Und so hat dort auch Gerald Pichowetz sein "Gloria-Theater" etabliert - quasi als Kontrapunkt zu den innerstädtischen Bühnen. Und der Herr Direktor steht auch selbst auf der Bühne, und zwar derzeit als Karl Bockerer im gleichnamigen Stück, ehe er in die Fußstapfen des Humoristen Loriot tritt. Daneben gibt es im "Gloria-Theater" auch einmal im Monat eine Kasperl-Vorstellung.
Sein eigenes Theater hat seit April 2006 auch der Schauspieler und Aktionist Hubsi Kramar. Wobei der Grundgedanke bei seinem "3raum Anatomietheater" in erster Linie die Rettung des ehemaligen Veterinär-Anatomiegebäudes in der Beatrixgasse 11 vor einer etwaigen Zerstörung gewesen sein soll. Genremäßig will Kramar "größtmögliche Offenheit bieten". Was bedeutet, dass neben Theateraufführungen auch Performances, Konzerte, Filme, Feste und Literaturvorstellungen stattfinden. Womit wir wieder beim Konzept der Vielseitigkeit angekommen wären . . .
Bei aller Vielschichtigkeit haben übrigens fast alle Wiener Mittelbühnen eines gemeinsam: Die Saison endet meistens im Juni. "Im Sommer flüchten die Leute ja alle aufs Land", kommentiert "Scala"-Intendant Bruno Max den immer stärker werdenden Trend zum Sommertheater. Wer ausnahmsweise in der Stadt bleibt, dem sei ein Abstecher in den 16. Bezirk empfohlen. In der Maroltingergasse residiert nämlich von Mitte Juni bis Anfang September - also mehr oder weniger konkurrenzlos - die "Original Wiener Stegreifbühne" (vormals "Tschauner"). Und die hat das Konzept der Vielseitigkeit ja schon dem Namen nach quasi a priori implementiert.
infoEnsemble Theater.
1., Petersplatz 1
Tel. 01/533 20 39
www.ensembletheater.at
Komödie am Kai.
1., Franz-Josefs-Kai 29
Tel. 01/533 24 34
www.komoedieamkai.at
stadtTheater
Walfischgasse.
1., Walfischgasse 4
Tel. 01/512 42 00
www.stadttheater.org
Kunst im Prückel.
1., Biberstraße 2
Tel. 01/512 54 00
www.kip.co.at
Theater Drachengasse.
1., Fleischmarkt 22
Tel. 01/513 14 44
www.drachengasse.at
3raum Anatomietheater.
3., Beatrixgasse 11
Tel. 0650/323 33 77
www.3raum.or.at
Freie Bühne Wieden.
4., Wiedner Hauptstr. 60b
Tel. 0664-372 32 72
www.freiebuehnewieden.at
Theater Akzent.
4., Theresianumgasse 18
Tel. 01/501 65 33-06
www.akzent.at
Scala -
Theater zum Fürchten.
5., Wiedner Hauptstraße 106-108
Tel. 01/544 20 70; www.theaterscala.at, www.theaterzumfürchten.at
TAG - Theater an der
Gumpendorfer Straße.
6., Gumpendorfer Straße 67
Tel. 01/586 52 22
www.dastag.at
Ateliertheater.
7., Burggasse 71
Tel. 01/524 22 45
http://kpc.server101.com/ateliertheater
Jüdisches Theater Austria -
The Window.
7., Kandlgasse 6/
Bandgasse 5
www.jta.at
Theater Spielraum.
7., Kaiserstraße 46
Tel. 01/713 04 60-60
www.theaterspielraum.at
KosmosTheater.
7., Siebensterngasse 42
Tel. 01/523 12 26
www.kosmostheater.at
Theater der Jugend.
7., Neubaugasse 38
Telefon 01/521 10-0
www.tdj.at
International Theatre.
9., Porzellangasse 8
Tel. 01/319 62 72
www.internationaltheatre.at
Schubert-Theater.
9., Währinger Straße 46
Tel. 0676/44 34 860
www.schuberttheater.at
Salon5.
15., Fünfhausgasse 5
0676/562 55 02
www.salon5.at
Original Wiener
Stegreifbühne.
16., Maroltingergasse 43
Tel. 01/914 54 14
www.tschauner.at
Gloria-Theater.
21., Prager Straße
Tel. 01/278 54 04
www.gloriatheater.at