Angela Merkel gibt sich selbstkritisch - der bayerischen CSU sind solche Töne weiterhin fremd.
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Berlin/München/Wien. "Burka, nein danke! Obergrenze für Flüchtlinge! Abschaffung der Doppelten Staatsbürgerschaft! Keine volle Visafreiheit für die Türkei!" So lautet der aktuellste Eintrag der CSU auf Facebook. Er zeigt, dass die bayerischen Christsozialen keinen Millimeter von ihrer Linie abweichen, während sich Kanzlerin Angela Merkel in den vergangenen Tagen mit Eingeständnissen zur Flüchtlingspolitik auf die Schwesterpartei bewegt hat. "Die Äußerungen der Kanzlerin sind schon beachtlich", sagte Bayerns Finanzminister Markus Söder in der "Welt" gönnerhaft. Der wohl nächste Ministerpräsident des Freistaates schob jedoch nach: "Aber natürlich müssen den Worten Taten folgen."
Die CSU dankt es ihr, indem sie den Druck auf Merkel erhöht. Im Herbst kommenden Jahres findet die Bundestagswahl statt. Die Politikerin solle sich in Sachen Kanzlerkandidatur deklarieren. "Natürlich würde es so manche Diskussion erleichtern, wenn diese Entscheidung nicht auf den Sankt Nimmerleinstag oder noch viele Monate verschoben würde", sagte die Chefin der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, am Dienstag. "Alles wird zum gegebenen Zeitpunkt gesagt", blieb Merkel tags zuvor schmallippig.
Da die Kanzlerin der CSU-Forderung nach einer Flüchtlingsobergrenze nicht nachgibt, versuchen es die Bayern nun mit der Variante Nebelkerze: "Mir persönlich liegt nicht daran, den Begriff zu fixieren, ob das nun Obergrenze ist, Richtgröße ist oder Orientierungsgröße", sagte Hasselfeldt. "Darüber kann man, glaube ich, reden." Erinnerungen an die österreichische Diskussion 2015, ob ein Zaun oder ein Gartentürl zur Sicherung der Grenze installiert werde, werden wach. Der wahre Knackpunkt steckt in der Frage, ob sie CSU von den in Stein gemeißelten 200.000 Personen als Obergrenze abrückt. Hasselfedt lässt sich Verhandlungsspielraum und die Frage offen. Auch hier gibt es kein Entgegenkommen zu Merkel.
In der CDU traut man Seehofer zu, Rot-Rot-Grün zu forcieren
Eigene Fehler gesteht sich die CSU nicht ein. Sie macht bei jeder Gelegenheit die Flüchtlingspolitik der Regierung schlecht - der sie als kleinster Koalitionspartner in Berlin angehört. Das gipfelte in einem Interview von CSU-Chef Horst Seehofer mit dem "Spiegel" am vergangenen Samstag: "Die Obergrenze würde funktionieren, im Einklang mit dem Grundgesetz", tönte Seehofer. In der CDU schäumte man über den bayerischen Ministerpräsidenten; schließlich stand am Sonntag die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus an. Es bedarf Chuzpe, im größten Nachrichtenmagazin des Landes, Merkels Partei, einen Tag vor einem Urnengang zu schaden. In der CSU kursiert mittlerweile sogar die These, Seehofer wolle die CDU so sehr schwächen, dass Rot-Rot-Grün bei der Bundestagswahl 2017 eine Mehrheit erhält. Das käme wiederum der CSU für die bayerische Landtagswahl 2018 zupass, sie könnte sich damit noch einfacher als jetzt zum Gegenpol zu Berlin inszenieren. Genau weil diese Spekulation so weit hergeholt scheint, zeigt sie, wie tief das Misstrauen zwischen CDU und CSU mittlerweile ist.
Bei Maut und Betreuungsgeld scheiterte die CSU grandios
Dabei war es die CDU, die im Laufe der Legislaturperiode mehrfach Irrläufe der Bayern hinnehmen musste. Die völlig unausgegorene Pkw-Maut für Ausländer stammte vom früheren CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, der dann als Verkehrsminister in Berlin inthronisiert wurde, um das Gesetz durchzuboxen. Für 2017 angekündigt, ist die "Infrastrukturabgabe" mittlerweile "auf unbestimmte Zeit verschoben". Laut "Spiegel" rechnet Dobrindt nicht mit einer Einführung vor 2020. Noch dazu steht das Vorhaben auf rechtlich wackligen Beinen, die EU-Kommission hatte 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren angekündigt. Und Österreich wehrt sich vehement gegen die Gebühr.
Gescheitert ist auch die CSU-Idee eines Betreuungsgelds für Zwei- bis Dreijährige. Eltern, die ihre Kinder nicht in den Kindergarten schicken, sollten 150 Euro pro Monat erhalten. Das deutsche Bundesverfassungsgericht kippte die Regelung im Sommer 2015 - CDU und SPD zeigten unverhohlen Freude.
Nach den Blamagen bei Maut und Betreuungsgeld wurden Abgesänge auf die CSU angestimmt. 15 Monate später sind die Bayern auf der Bundesbühne präsent wie unter Strauß. Dass die CSU querschießt, ist seit Jahrzehnten Praxis. Schließlich braucht die Regionalpartei eine Existenzberechtigung. Stark ist die konservative Union aber vor allem, wenn sie geeint auftritt. Es ist an der Zeit für Seehofer, ein entsprechendes Zeichen zu setzen.