Experten diskutierten in Wien über Österreichs Beteiligung an wissenschaftlichen Großprojekten.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. "Wir können Großforschung sehr, sehr gut." So klar bezog am Donnerstagabend der promovierte Physiker Daniel Weselka, als Abteilungsleiter im Wissenschaftsministerium für Grundlagenforschung und Forschungsinfrastruktur zuständig, Stellung zum Thema "Big Science - Wie gut kann Österreich Großforschung?", das eine Expertenrunde auf Einladung der APA in Wien diskutierte.
In seinem Impulsreferat betonte Hannes Androsch, Vorsitzender des Rats für Forschung und Technologieentwicklung, wie wichtig in einer globalisierten "scientific community" ständiger Austausch und Vernetzung sind. Österreich sei wie einige andere kleine Länder "gar nicht schlecht aufgestellt", habe aber noch viel Spielraum nach oben. Denn nach einer Phase beachtlicher Dynamik habe man 2008 "auf Stagnation geschaltet" und befinde sich nun auf einem Pfad, mit dem die einst gesetzten Ziele nicht erreicht werden können und man gegenüber vergleichbaren Staaten zurückfalle.
Androsch beklagte, halb auf "Floridsdorferisch", dass seine Kritik wie ein "preaching to the derrisch" verhalle. Vor allem hinke das Bildungssystem hinterher. Dort müsse vom Vorschulalter an die Begeisterung für Wissen und Forschung gefördert werden, stattdessen treibe man den Kindern diese oft aus und entlasse fast ein Viertel als Analphabeten.
Für wirklich große Forschungsvorhaben ist internationale, interdisziplinäre Kooperation nötig, erklärten unisono die anwesenden Forscher. Die aktuelle Mission "Rosetta" der Europäischen Weltraumagentur ESA, in deren Rahmen am 12. November erstmals ein Forschungsgerät auf einem Kometen landen soll, ist sogar ein "Generationenprojekt", erklärte Wolfgang Baumjohann, Chef des Grazer Instituts für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Schon vor 20 Jahren hat sein Vorgänger Willibald Riedler Österreichs Beteiligung an dieser Mission gestartet, die bisher rund 1000 Wissenschafter und Techniker beschäftigt hat. Die Gesamtkosten von 1,3 Milliarden Euro hält Baumjohann in Relation mit dem Desaster der Hypo Alpe Adria für vertretbar.
Schon im 19. Jahrhundert wurden die Grabungen in Ephesos begonnen, die heute die Archäologin Sabine Ladstätter leitet. Am "Big Dig" arbeitet ein Team von etwa 250 Wissenschaftern aus 18 bis 20 Ländern, mit rund zwei Millionen Touristen zählt Ephesos wohl zu den meistbesuchten Forschungsstätten der Erde. "Wir stellen kulturhistorische Thesen auf, setzen aber Methoden aus Naturwissenschaft und Technik ein", sagte Ladstätter und verwies vor allem auf Laser-Scanning und Genetik. Durch die historische DNA-Forschung käme man "auf Felder, die uns vorher völlig verschlossen waren". Das Herausfordernde der modernen Wissenschaft sei, die Sprache anderer Disziplinen verstehen zu lernen.
Aus Sicht von Jochen Schieck, Direktor des ÖAW-Instituts für Hochenergiephysik, gibt es Fragen, die sich nur mit Großforschung und internationalen Zusammenschlüssen lösen lassen. Dass man am Europäischen Kernforschungszentrums Cern über einen noch größeren Teilchenbeschleuniger nachdenkt, sieht er nicht als "Elefantitis". Zum Cern-Jahresbudget von einer Milliarde Euro - das sei, so Schieck, eine Schale Kaffee pro Europäer - trägt Österreich 20 Millionen bei. Der Erfolg gebe dem Cern recht, etwa die Entdeckung des Higgs-Teilchens, aber auch Nebenprodukte wie das "World Wide Web".
Unis und Bildung stärken
Am internationalen "Human Brain Project" ist der Leiter der Abteilung Experimentelle Psychiatrie an der Medizinischen Universität Innsbruck, Alois Saria, beteiligt. Dabei wollen 112 Institutionen, die organisatorisch - und finanziell gerecht ausgestattet - unter einen Hut gebracht werden müssen, im nächsten Jahrzehnt das gesamte Wissen über die Abläufe im menschlichen Gehirn in eine Computersimulation packen. Saria sieht in Österreich, über die Beteiligung an Großprojekten hinaus, den dringenden Bedarf, die Infrastruktur an den Universitäten massiv zu stärken.
Nur in Riesenteams werde sich Forschung aber in Zukunft nicht abspielen, sondern in Diversität, meinten die Experten. "Es werden auch noch Leute gebraucht, die im stillen Kämmerlein Ideen haben", sagte Schieck. Diese Ideen und Hypothesen müssten aber dann, oft auch durch Großforschung, bestätigt werden.
Daniel Weselka unterstrich, Begeisterung für Forschung müsse im Bildungsbereich gefördert und gepflegt werden: "Exzellente Lehrer kann man nicht ersetzen."