Bergwerk Ensdorf droht die Schließung. | Vom Zusperren wären bis zu 10.000 Jobs betroffen. | Berlin. Schwer erschüttert wurde das Saarland am vergangenen Samstag, nachmittags um halb vier, gleich in doppelter Hinsicht. Die Erde schwankte und mit ihr die Zukunft des Steinkohlebergbaus in dem strukturschwachen deutschen Bundesland.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Im Zentrum des Bebens, in der Gemeinde Saarwellingen herrschte nach Augenzeugenberichten "praktisch Ausnahmezustand": Schornsteine und Dachziegel stürzten von den Dächern, Autos wurden beschädigt, von der Pfarrkirche löste sich eine schwere Gaube und zerschellte vor dem Eingang, wo sich kurz davor noch 40 Kommunionskinder aufgehalten hatten.
"Dass es keine Toten bei diesem Beben gab, grenzt eigentlich an ein Wunder", sagte ein Einwohner, der in Panik sein Haus verlassen hatte. In Saarlouis kam es infolge der Erderschütterungen zu Stromausfällen.
Das bisher schwerste bergbaubedingte Erdbeben - mit eine Stärke von 4,0 auf der Richterskala - wurde vermutlich durch einstürzende Hohlräume im Abbaugebiet Primsmulde Süd des Bergwerks Ensdorf (Saarland) ausgelöst. Laut Deutscher Steinkohle AG (DSK) hat sich das Beben in einer Tiefe von anderthalb Kilometern ereignet, wobei es zu einer "Schwinggeschwindigkeit" des Gesteins von bis zu 93,5 Millimetern pro Sekunde gekommen sei (der höchste bisher gemessene Wert lag bei 42,3 mm). Offenbar seien die schweren Sandsteindecken über zwei parallel ausgebeuteten und danach abgestützten, leeren Streben eingestürzt, hieß es. Das Unternehmen hat Gutachter beauftragt, "so schnell wie möglich die Ursachen der Erschütterungen zu klären".
Subventionierte Branche
Im Anschluss an das Beben kam es in Saarwellingen und den umliegenden Ortschaften zu spontanen Demonstrationen gegen den Bergbau im Saarland. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller machte sich vor Ort ein Bild von der Lage, erklärte: "Bergbau, der eine Gefahr für Leib und Leben der Bevölkerung darstellt, ist unakzeptabel" - und verhängte ein unbefristetes Abbauverbot.
So musste die DSK, die den gesamten Steinkohleabbau in Deutschland in ihrer Hand bündelt, vorerst 3500 Kumpel nach Hause schicken. Nur noch eine Notbesatzung wacht untertage. Sollte das Unternehmen keine Garantien für einen gefahrlosen Weiterbetrieb der Grube bieten können, stehen rund 4100 Mitarbeiter vor dem Aus. Mit vor- und nachgelagerten Bereichen schätzt man die Zahl der insgesamt Betroffenen bei einer endgültigen Einstellung der Kohleförderung an der Saar auf rund 10.000 Menschen.
Das Beben dürfte den von CDU, FDP und Grünen im Saarland befürworteten Ausstieg aus dem Kohleabbau beschleunigen. Zurzeit wird noch jeder Arbeitsplatz im Steinkohlebergbau mit über 80.000 Euro pro Jahr subventioniert. Eine schwere Last für das bettelarme und verschuldete Saarland, das nicht größer ist als Vorarlberg. Seit 1961 versickerten in deutschen Gruben Steuergelder von insgesamt 130 Mrd. Euro. Nach dem "Kohlekompromiss" vom Februar 2007 könnte das Saarland erst in sechs bis sieben Jahren mit einer Entlastung rechnen. Gut möglich, dass dieser Zeitpunkt bereits jetzt gekommen ist. Von den einst 156 deutschen Kohlegruben der Fünfzigerjahre sind nur noch sieben übriggeblieben und von den einst 650.000 Bergleuten noch rund 30.000. Grund ist der konkurrenzlos niedrige Preis der Importkohle: Während für eine Tonne Importkohle derzeit rund 60 Euro zu bezahlen sind, kostet die Tonne aus heimischen Zechen etwa drei Mal so viel.
Nun wird Ensdorf, das Werk mit der größten Jahresförderung (3,7 Millionen Tonnen), womöglich zugesperrt. Müller hofft, die dann arbeitslosen Steiger im Rahmen eines "Solidarpakts Bergbau", an dem sich Bund, Land und DSK beteiligen, sozialverträglich aufzufangen.