Extremereignisse nehmen zu, eine seit Jahren angekündigte Energie- und Klimastrategie gibt es noch immer nicht.
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Wien. "Irma" war der schwerste Hurrikan der Aufzeichnungen. "Harvey" der mit dem meisten Wasser. Noch nie sind zwei verheerende Kategorie-4-Stürme binnen eines Jahres in den USA an Land gegangen wie erstmalig diesen August. Gleichzeitig nehmen globalen Klimaprognosen zufolge die Niederschlagsmengen weiter ab und Temperaturen zu. In Österreich ist es schon um fast zwei Grad Celsius wärmer als 1880. Hier nehmen Extremereignisse wie Dürre, Hagel und Spätfrost zu, was vor allem für die Landwirtschaft ein Problem darstellt: Die wetter- und klimabedingten Schäden liegen bereits bei rund einer Milliarde Euro jährlich.
Der Klimawandel ist nicht von der Hand zu weisen. Das Umweltbundesamt sieht in seinem heurigen Klimaschutzbericht "dringenden Handlungsbedarf" für Österreich. Die Treibhausgas-Emissionen sind demnach 2015 im Vergleich zum Jahr davor um 3,2 Prozent gestiegen. Hauptverantwortlich für die Zunahme waren der Energiebereich, ein höherer Heizbedarf sowie der Verkehr. Zwischen 2009 und 2013 sind die Emissionen zwar gesunken, seit 2013 steigen diese aber wieder kontinuierlich an.
Vorreiterland Deutschland hat Emissionen stark reduziert
Betrachtet man den EU-Durchschnitt, so sind die Emissionen bereits um 24 Prozent niedriger als 1990. 2005 hat die EU festgelegt, dass alle Mitgliedstaaten ihre Treibhausgas-Emissionen bis 2020 um 15 bis 30 Prozent gegenüber 1990 reduzieren sollen. Einige Länder sind Vorreiter -andere säumig. Zu Ersteren zählt Deutschland, wo die Minderung im Vergleich zum Referenzjahr 1990 bei 28,1 Prozent liegt.
Österreich rangiert indes beim Thema Klimaschutz auf den hintersten Rängen. Und das, obwohl es das Pariser Klimaschutzabkommen im Vorjahr als drittes Land der EU ratifiziert hat. 195 Nationen haben sich mit dem Abkommen das Ziel gesetzt, die Erwärmung bis 2100 unter zwei Grad zu halten. Tut man nichts, wird die Temperatur im Jahr 2100 weltweit um durchschnittlich sechs Grad höher sein, prognostizieren Klimaexperten.
Die kleine Ökostromnovelle wurde beschlossen
Die steigenden Temperaturen und Treibhausgas-Emissionen stehen in einem direkten Zusammenhang. Die Treibhausgase bewirken, dass die Atmosphäre zwar die von der Sonne ankommende, kurzwellige Strahlung durchlässt, nicht aber die langwellige Infrarotstrahlung, die die warme Erdoberfläche abstrahlt. Ein Anstieg der Temperatur ist die Folge. Das wichtigste Treibhausgas ist Wasserdampf, aber auch Kohlendioxid spielt eine wesentliche Rolle.
Strikte Maßnahmen und Gesetzesänderungen sind offenbar notwendig, um diese Entwicklung abzuwenden. In Österreich wollten in diesem Sinne bis Ende Juni dieses Jahres SPÖ und ÖVP eine seit Jahren angekündigte gemeinsame Energie- und Klimastrategie bis 2030 in den Ministerrat bringen - sie sollte Basis für die ebenfalls lang erwartete große Ökostromnovelle sein. Aufgrund der vorgezogenen Neuwahlen am 15. Oktober wurde aus diesen zwei Vorhaben nun wieder nichts.
Allein die kleine Ökostromnovelle hat der Nationalrat Ende Juni beschlossen. Diese beinhaltet unter anderem Neuerungen bei der Errichtung von Photovoltaikanlagen auf Mehrfamilienhäusern, eine Verlängerung der Verfallsfrist von bereits genehmigten Windkraftprojekten und mehr Geldmittel für Kleinwasserkraftanlagen. Mit ihr wurden auch Konzessionsvergaben und Regulierungsfragen neu organisiert. Österreich war seit zwei Jahren bei der Umsetzung einer entsprechenden EU-Richtlinie säumig, weshalb bereits ein Vertragsverletzungsverfahren lief. Klagen dürfte man damit gerade noch abgewandt haben.
Wie es nun mit der großen Ökostromnovelle, der Energie- und Klimastrategie und dem Umgang mit dem Klimawandel an sich in Österreich weitergeht, ist zumindest bis zum Wahltermin ungewiss. "Das wird die nächste Bundesregierung festlegen", heißt es auf Nachfrage der "Wiener Zeitung" aus dem Umweltministerium unter Minister Andrä Rupprechter (ÖVP).
Die dringlichsten Ziele seien aber nach wie vor, die von der EU 2005 festgelegten Klimaziele bis 2020 zu erreichen, heißt es weiter - also die Treibhausgas-Emissionen um etwa 16 Prozent gegenüber dem Referenzjahr zu reduzieren. Zudem müsse man "das hohe Umweltniveau unter anderem mit Top-Sammelquoten im Abfallbereich und Top-Badewasserqualität" absichern.
Zu den zu setzenden Maßnahmen in Sachen Klimawandel zählt laut Umweltministerium der Ausbau einer klimafreundlichen Mobilität und die Verbesserung der Gebäudestandards.
Bezüglich E-Mobilität habe man im März mit den Autoimporteuren und dem Verkehrsministerium das E-Mobilitätspaket gestartet: Die Anschaffung von E-Fahrzeugen sowie der Ausbau der E-Ladeinfrastruktur wird nun für Private, Betriebe und Gemeinden gefördert, insgesamt liegen dafür 72 Millionen Euro für dieses und nächstes Jahr bereit. Damit könnte man zusätzlich 16.000 E-Fahrzeuge auf die Straße bringen, so das Ministerium.
Gleichzeitig arbeite man an Strategien, um der zunehmenden Dürre in der Landwirtschaft zu begegnen. So hätten etwa das Umweltministerium und der Klimafonds 23 Regionen ausgewählt, die dabei unterstützt werden, das Thema Klimawandelanpassung zu etablieren - eine wesentliche Rolle spielten dabei die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft.
Der Koalitionspartner SPÖ hält zumindest indirekt die ÖVP dafür verantwortlich, dass es bis heute keine Energie- und Klimastrategie gibt. Dass diese und die große Ökostromnovelle Teile der Neufassung des Regierungsprogramms im Frühjahr 2017 waren, sei auf Drängen der SPÖ passiert, heißt es von dieser - dass eine grundlegende Reform in dieser Legislaturperiode nicht mehr möglich ist, sei der Aufkündigung der Regierungszusammenarbeit seitens der ÖVP geschuldet.
"Konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz wurden blockiert"
Die Grünen sehen hingegen sowohl ÖVP als auch SPÖ in der Verantwortung. Die Energie- und Klimastrategie sei von den Regierungsfraktionen seit zwei Jahren ausschließlich zum Blockieren konkreter Klimaschutzmaßnahmen verwendet worden, sagt Umwelt- und Klimaschutzsprecherin Christiane Brunner. "Unter dem Vorwand, einer noch zu veröffentlichenden Gesamtstrategie nicht vorgreifen zu wollen, lehnten SPÖ und ÖVP allein 21 parlamentarische Klimaschutzinitiativen der Grünen ab", so Brunner.
Die SPÖ steckt ihre klimapolitischen Ziele jedenfalls langfristig, sie sind im Plan A definiert. Die Treibhausgas-Emissionen sollen demnach bis 2030 um 36 Prozent gesenkt werden. Im gleichen Zeitraum will man den Energieverbrauch um 24 Prozent reduzieren und einen annähernd 100-prozentigen Eigendeckungsgrad mit Strom erreichen - vorrangig aus erneuerbaren Quellen, wie es heißt. Dafür müssten Letztere durch eine kosteneffiziente Ökostromförderung ausgebaut werden.
In diesem Punkt setzen auch die Grünen an. Um den Klimakollaps abzuwenden, brauche es in Österreich und den anderen Industriestaaten gemäß dem Pariser Klimaschutzabkommen den vollständigen Ausstieg aus fossiler Energie bis 2050 und den Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien, sagt Brunner. Subventionen für fossile Energieträger, die derzeit bei rund vier Milliarden Euro jährlich lägen, müssten abgebaut werden. Stattdessen soll laut Brunner im Rahmen einer ökosozialen Steuerreform mit einem ansteigenden Mindestpreis für den Ausstoß von Kohlendioxid Fairness am Markt geschaffen werden. Damit will man eine Öffi-Ausbauoffensive, thermische Sanierung und Kesselaustauschprogramme finanzieren: Bis 2050 soll es keine Gasheizungen mehr geben.
Preis auf den Ausstoßvon Kohlendioxid
FPÖ und Neos plädieren ebenfalls für einen Ausstieg aus den fossilen Energieträgern und den Ausbau von Sonnen-, Wasser-, Wind- und Biogasanlagen. Bezüglich Verkehr könnte sich die FPÖ ein Österreich-Ticket für alle öffentlichen Verkehrsverbindungen vorstellen. Die Neos streben einen 20-prozentigen Anteil der Elektrofahrzeuge an den Neuzulassungen 2022 an.
Der Klimasprecher des WWF Österreich, Karl Schellmann, reagiert etwas verwundert vor allem auf die Klimaziele der FPÖ. Hat doch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache erst vor kurzem unter anderem gegenüber Ö1 mehrmals bezweifelt, dass der Mensch schuld an der Erderwärmung ist. Aber auch die Pläne von SPÖ und ÖVP seien nur wenige und unkonkret, sagt Schellmann. Die Grünen seien zwar bemüht, "aber im politischen Spiel bleibt zu wenig Umsetzungsmöglichkeit".
Einen Preis auf Kohlendioxid-Emissionen, zu zahlen von den Verursachern, hält auch Schellmann für sinnvoll. Die Verursacher - das seien nicht nur die Betreiber fossiler Brennstoffanlagen, sondern zum Beispiel auch Flughäfen. Indem Letztere weder Grundsteuer noch eine Steuer auf Sprit zahlten, subventioniere man diese "mit ganz schon viel Geld".
Auf eine Umsetzung einer Energie- und Klimastrategie könne man jedenfalls erst nach der Wahl hoffen. Inwieweit Wünsche nach Veränderung, wie sie während des Wahlkampfes laut werden, danach Bestand haben, werde sich weisen.
Die Zeit drängt. Klimaexperten zufolge bleiben nur noch etwa 15 Jahre, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Schafft man das nicht, so sei aufgrund der schmelzenden Gletscher und steigenden Meeresspiegel eine Welle gigantischen Ausmaßes an Klimaflüchtlingen zu befürchten, heißt es. Würden die USA ihr großes Potenzial an erneuerbaren Energien stärker nutzen, gäbe es freilich mehr Hoffnung.