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Viele Millionen CO2-Zertifikate landen nach dem Brexit auf dem Markt und drücken den Preis. Expertinnen sind zuversichtlich, dass das System des Emissionshandels sein Ziel langfristig erfüllt. Doch bisher hat das System versagt.
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Um das Klima zu schützen, beschloss das Europäische Parlament und der Rat der EU 2003 den ersten grenzüberschreitenden und weltweit größten Emissionsrechtehandel. Er stellt das Hauptinstrument der EU-Kommission dar, die Wirtschaft in der EU zu dekarbonisieren. Für jede Tonne CO2, die ein Anlagenbetreiber ausstößt, muss ein Zertifikat vorgelegt werden. Überschüssige Zertifikate können gehandelt werden. Der Markt, Angebot und Nachfrage, sollen CO2 einen Preis geben und Unternehmen dazu veranlassen, ihre Emissionen zu reduzieren und in grüne Technologien zu investieren.
So weit die Theorie. Der von Politikern künstlich erschaffene Markt zeichnet sich durch viele Regeln, Ausnahmen und letztlich Reformen aus, weil der Zertifikatehandel nicht das lieferte, wofür er geschaffen wurde: einen stetig steigenden CO2-Preis und eine Reduktion der Emissionen.
In der Praxis gibt es nämlich einen Überschuss an Zertifikaten am Markt. Weil es eben oft anders kommt als gedacht. 2008 zum Beispiel. Durch die Wirtschaftskrise drosselten die Anlagen ihre Produktion und benötigten weniger Zertifikate, der Preis fiel auf teilweise lächerliche 6 Euro pro Tonne CO2.
Aktuell gibt es zwei konkrete Risiken, die auch Auswirkungen auf den Emissionshandel haben werden, sagt Bernadett Papp, Markt- Analystin bei Vertis Environmental Finance.
Die Auswirkungen des Konflikts zwischen China und den USA
Zum einen eine weitere Wirtschaftskrise. Aufgrund des andauernden Handelskonflikts zwischen den USA und China suchen die von US-Zöllen betroffenen chinesischen Unternehmen andere Absatzmärkte und bieten ihre billigen Produkte vermehrt in Europa an. Europäische Unternehmen drosseln ihre Produktion, weil es für sie wirtschaftlich keinen Sinn macht, in Konkurrenz zu treten - sie stoßen weniger CO2 aus und brauchen weniger Zertifikate.
Zum anderen der Brexit. Das Szenario eines sogenannten harten Brexit wird zwar immer unwahrscheinlicher, doch ausgeschlossen ist er nicht. Scheidet Großbritannien ohne Abkommen aus der EU, so müssen britische Anlagebetreiber für ihre Emissionen keine Zertifikate mehr vorweisen, erklärt Papp. Sie können ihre Zertifikate - inklusive dem angesammelten Überschuss aus der Vergangenheit - am Markt verkaufen. Und das wollen sie möglichst gewinnbringend. Das Volumen, das dann auf den Markt käme, schätzen Experten, darunter auch Papp, auf 60 bis 100 Millionen Zertifikate. Die logische Folge: Der Preis für CO2 geht in den Keller. Bei einem Deal ist die Frage, wie lange die britischen Unternehmen im EU ETS (European Union Emissions Trading System) verbleiben. Müssen sich die Anlagebetreiber für 2020 oder gar 2021 noch mit Zertifikaten eindecken?
Momentan zögern die britischen Unternehmen, sagt Papp. Die britische Regierung wird innerhalb zwei bis drei Monaten (die Compliance Episode dauert bis April 2020) mehr als insgesamt 100 Millionen Zertifikate ausgeben - in einem bereits überversorgten Markt. Doch Marktanalystin Papp ist vom System überzeugt - zumindest langfristig. Die letzte Reform sieht eine Verknappung der Zertifikate ab 2021 durch die Marktstabilitätsreserve vor. Dieser Faktor und die Spekulanten, die ebenfalls die Gunst der Stunde nutzen, um Zertifikate möglichst günstig zu kaufen, führen Papp zu der Annahme, dass die Brexit-Preisdelle im Emissionshandel relativ rasch bereinigt werden kann.
Ökonomin: Ziel der Emissionsreduktion verfehlt
Umweltökonomin Sigrid Stagl von der Wirtschaftsuniversität Wien ist da weniger optimistisch. "Die aktuellen 26 Euro pro Tonne CO2 liegen deutlich unter dem, was wir brauchen, um das Ziel der Emissionsreduktion zu erreichen. Wir haben zu viele Zertifikate am Markt, da zu Beginn zu viele ausgegeben wurden. Solche Fehler sind später schwer zu korrigieren", sagt Stagl. In der Theorie befindet die Ökonomin das System als ideales Instrument, weil ein Umweltziel mit möglichst geringen Kosten für die Wirtschaft erreicht werden kann. Aber in der Praxis wurde der volkswirtschaftlich optimale Weg verlassen, weil starkes Lobbying der Industrie und Ausnahmeregelungen der Politik das System verwässert haben. Die großen Anlagenbetreiber, die viel Schmutz verursachen, werden etwa vom System ausgenommen, sie erhalten Zertifikate weiter frei - laut Stagl ein politischer Preis, um den Widerstand gegen die Regulierung zu erweichen.
"Eigentlich brauchen wir Zertifikate nicht, denn Steuern können das liefern, was wir brauchen, aber die politische Qualität von Zertifikaten ist, dass sie nicht Steuern heißen", bemerkt Stagl. "Wir sind mit dem heutigen Preis weit von dem entfernt, was sich andere Länder selbst als Steuersätze auferlegt haben." Schweden ist hier mit 115 Euro pro Tonne Spitzenreiter in der EU wie unter den Mitgliedstaaten der OECD. Aber auch die Finnen, Franzosen, Norweger und Schweizer setzen auf eine Abgabe. In Irland beträgt die Abgabe pro Tonne 20,50 Euro, in Großbritannien 21,40 Euro - auch nach dem Brexit. Trotz immer wieder kurzfristiger Preisschwankungen erwartet die Umweltökonomin mit dem EU ETS langfristig eine eindeutige Preissteigerung. Bisher hat das System in der Praxis aber versagt. Und die Zeit läuft.