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Klimakrise und Kapitalismus

Von Heinz Högelsberger

Gastkommentare

"Grünes Wachstum" bleibt ein Wunschtraum. Es braucht ein neues Verständnis von einem "guten Leben für alle".


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Schon Karl Marx meinte, im Kapitalismus gehe es nicht um ausreichende Gewinne, sondern um Profitmaximierung. Das wurde in den vergangenen zwei Jahrhunderten über Wirtschaftswachstum erreicht und hat zu einem relativ hohen allgemeinen Wohlstand in den Industriestaaten geführt. Allerdings stellte schon 1972 der "Club of Rome" fest, dass es Grenzen des Wachstums gibt, die nicht überschritten werden sollten.

Gern wird ein "grünes Wachstum" herbeigesehnt, bei dem sich wirtschaftliche Entwicklung von Rohstoff- und Energieverbrauch trennen lässt. Der Pferdefuß: In einer groß angelegten Meta-Studie haben österreichische Wissenschafter festgestellt, dass es in der Praxis keine konkreten Beispiele für eine ausreichende Entkoppelung gibt - "grünes Wachstum" bleibt also ein Wunschtraum.

1990 dient als Bezugsjahr für das Kyoto-Protokoll und den international akkordierten Klimaschutz und fällt mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten zusammen. Damit war sowohl der Kalte Krieg, aber auch der Systemwettbewerb beendet. Durch den erstarkten Neoliberalismus nahm die Ausbeutung von Mensch und Natur weiter zu. So sank in Österreich die Lohnquote in den folgenden beiden Jahrzehnten, während die CO2-Emissionen steil anstiegen und 2014 ein Allzeithoch erreichten.

Laut dem Ökonomen Thomas Piketty wachsen auch global die Renditen und Vermögen schneller als die Wirtschaft. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich automatisch, mit dramatischen Folgen für den Klimaschutz. Laut der britischen NGO Oxfam verursacht das reichste Prozent der Weltbevölkerung doppelt so viele CO2-Emissionen wie die ärmeren 50 Prozent. Während also Amazon-Chef Jeff Bezos einen Teil seines sagenhaften Vermögens dafür verwendet, extrem CO2-intensiv in den Weltraum zu fliegen, wurde ebendieser Reichtum unter erbärmlichen Arbeitsbedingungen in den Produktionsstätten, den Amazon-Verteilzentren und von den Paketfahrern erwirtschaftet. Weltweit haben die zehn reichsten Männer ihr Vermögen während der Pandemie verdoppelt!

Das Dilemma: Mittels Wachstum kann man sowohl die Profite steigern als auch den Konsum der globalen Mittelschicht. Die Umwelt bleibt dabei auf der Strecke. Will man sie schützen und die Wirtschaft schrumpfen lassen, kann man Gewinne nur auf Kosten von 90 Prozent der Menschheit erwirtschaften. Sozial gerechter Umweltschutz lässt sich wiederum nur zu Lasten der Profite unter einen Hut bringen.

Wie kommt man aber dorthin? Brauchen wir eine Ökodiktatur? Natürlich nicht, denn Demokratie ist nicht mit Kapitalismus gleichzusetzen. General Augusto Pinochet hat im Chile der 1970er und 1980er eindrucksvoll bewiesen, dass eine faschistische Militärdiktatur und ein neoliberaler Wirtschaftskurs gut zusammenpassen. Umgekehrt ist konsequenter Klimaschutz im objektiven Interesse der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung. Wieso sind dann in all den formal funktionierenden Demokratien der Industriestaaten die CO2-Emissionen in der Vergangenheit nicht substanziell gesunken?

Fossile Multis mit Marktmacht

Die Tabelle oben kann eine Antwort geben: Die weltweit größten Konzerne sind hauptsächlich dem fossilen Energiesektor oder der Kfz-Industrie zuzuordnen. Das Geschäftsmodell dieser Konzerne basierte bisher auf einem möglichst hohen CO2-Ausstoß. Sie bestimmen unsere Wirtschafts- und Lebensweise und haben starken Einfluss darauf, wie wir mobil sind. Erst die Corona-Pandemie spülte Internet- und Gesundheitskonzerne nach oben. Doch die derzeit hohen Energiepreise zeigen, dass die fossilen Multis immer noch über sehr viel Marktmacht verfügen und gut im Geschäft sind.

Damit die ökosoziale Wende gelingt, gilt es liebgewonnene und bequeme Gewohnheiten aufzugeben. Dabei sind die Menschen gefragt, auf allen Ebenen aktiv zu werden: Als Bürger sollten sie Parteien wählen, die tatsächlich ihre Interessen vertreten. Als Beschäftigte sollten sie die Gewerkschaften stärken, aber auch für Arbeitszeitverkürzung und sinnstiftende Arbeit eintreten. Die Frage, was und wie wir produzieren, muss demokratisch beantwortet werden. Nur gesellschaftlicher Nutzen sollte Triebfeder und Motivation für neue Produkte und Dienstleistungen sein und nicht das Streben nach maximalem Profit. Und schließlich müssen sie auch in ihrer Eigenschaft als Konsument ihre Marktmacht nutzen und ein sozial gerechtes und ökologisch nachhaltiges und regionales Kaufverhalten an den Tag legen. Billige T-Shirts, kurzlebige Handys und SUVs wären dann vom Markt gefegt.

Solch eine Demokratisierung und Beteiligung auf allen Ebenen könnte den neoliberalen Kapitalismus einbremsen und durch Kreislaufwirtschaft und die Erzeugung langlebiger Produkte sowie Ressourcenschonung ersetzen. Mittels hoher Vermögens- und Erbschaftsteuern kann man mehr Verteilungsgerechtigkeit herstellen und obendrein die Staatsfinanzen sichern. Denn auch bei uns ist der Reichtum extrem ungerecht verteilt: Das wohlhabendste Zehntel der Bevölkerung verfügt über zwei Drittel des Vermögens, während sich die ärmere Hälfte mit 3 Prozent begnügen muss.

Dienstleistungen der Daseinsvorsorge, Schlüsselindustrien, kritische Infrastruktur, aber auch Internet-Plattformen sollten öffentlicher Besitz sein. Wir brauchen ein neues Verständnis, was ein "gutes Leben für alle" tatsächlich benötigt: etwa gut gedämmte Wohnungen, flächendeckende Öffis, faire Schulen, Zeit für Freundschaften, einen entspannten, genussvollen Lebensstil.