Etwa die Hälfte des Ausstoßes an Treibhausgasen ließe sich relativ billig unterbinden. Danach wird es schwierig und teuer.
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Der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen, die den Temperaturanstieg anheizen, ist in den vergangenen 30 Jahren nicht zurückgegangen, sondern um 60 Prozent gestiegen. Würde alles so wie bisher bleiben und sich der weltweite Ausstoß dieser Gase weiter erhöhen, dann würde sich die globale Durchschnittstemperatur bis zum Ende dieses Jahrhunderts um 4 bis 8 Grad erhöhen. Das hätte katastrophale Folgen.
Die Politik hat darauf reagiert. Die EU-Staaten wollen bis zum Jahre 2050 klimaneutral werden - also ab dann keine Treibhausgase ausstoßen. China, der weltweit größte Emittent von Treibhausgasen, will das Ziel der Klimaneutralität 2060 erreichen, Österreich - trotz seines bisherigen Nachhinkens hinter anderen europäischen Staaten - sogar schon 2040. Wären solche Anstrengungen weltweit und erfolgreich, dann könnte man verhindern, dass sich die Erdatmosphäre um mehr als 1,5 oder 2 Grad Celsius aufheizt. Damit ließe sich der Schaden der Erderwärmung begrenzen.
Die zentrale Frage ist also, ob es technisch und politisch möglich ist, den Ausstoß an Treibhausgasen - überdies in so kurzer Zeit - völlig zu beenden. Dem stellt sich der Multimilliardär, Philanthrop und Microsoft-Gründer Bill Gates in seinem jüngst erschienen Buch "Wie wir die Klimakatastrophe verhindern". Er übergeht dabei die in diesem Zusammenhang oft gebrauchte These, der zufolge Klimaneutralität durch Konsumverzicht erreicht werden könnte. In den schon reichen Staaten bringt ein Mehr an Konsum zumeist keine höhere Zufriedenheit und Lebensqualität. Auf vieles in diesem Überkonsum könnte man daher unschwer verzichten. Aber aus diesem Verzicht auf Überkonsum ergeben sich keine weltweiten Einsparungen an Treibhausgasen.
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Ein möglicher Konsumverzicht in schon reichen Staaten würde bei weitem wettgemacht durch das wirtschaftliche Aufholen zur Zeit noch ärmerer Staaten, in denen vier Fünftel der Weltbevölkerung leben. Auch sie wollen nicht hungern, sondern vernünftig essen, sich ordentlich kleiden, menschengerecht wohnen, gesund sein, haben Anspruch auf Bildung etc. An Konsumverzicht können diese vier Fünftel der Menschheit erst denken, wenn sich ihr Wohlstand zumindest einigermaßen dem der schon reichen Staaten angenähert hat. Dazwischen werden in diesen Staaten Produktion und Konsum steil anwachsen. Das geht nicht ohne Beton, Stahl, Containerschiffe, Flugzeuge, Hochleistungslandwirtschaft etc.
Das belegt das Beispiel der Produktion von Zement: Die Herstellung von Zement ist besonders klimaschädlich. Nur im Laufe der ersten 16 Jahre dieses 21. Jahrhunderts hat allein China - gefordert durch die rasche Verstädterung und den raschen Ausbau der Infrastruktur - mehr Zement verbraucht als die USA im gesamten 20. Jahrhundert. Hinter China folgen nun das bevölkerungsstarke Indien und der Rest Südostasiens.
Gates geht also zu Recht davon aus, dass "Klimaneutralität" nicht durch ein Zurückfahren von Konsum erreicht werden kann. Auch in Zukunft würde sich der weltweite Konsum (und damit auch die vorhergehende Produktion) so steigern, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Aber dieser Konsum und diese Produktion sollten ab dem Jahre 2050 eben klimaneutral sein; also nicht länger verknüpft mit einem weiteren Ausstoß von Treibhausgasen.
Riesiger Strombedarf beim Übergang zu Klimaneutralität
Ist dieses Ziel, noch dazu in bloß 30 Jahren, überhaupt erreichbar? Gates’ Schlussfolgerungen hierzu sind grundsätzlich positiv. Aber er macht auch klar, dass man damit vor einer "gigantischen Herausforderung" steht, für die es in der Geschichte nichts Vergleichsbares gibt. 51 Milliarden Tonnen an Treibhausgasen werden jährlich weltweit ausgestoßen. Werden in jedem der dafür verantwortlichen Bereiche die bestehenden Verfahren durch klimaneutrale ersetzt, erfordert dies einen finanziellen Mehraufwand. Gates spricht von einer "Klimaprämie".
Deren Höhe ist von Fall zu Fall verschieden. So ist sie zum Beispiel niedrig, wenn Benzin- oder Diesel-Pkw durch E-Autos ersetzt werden. Schwere Lkw hingegen lassen sich kaum mit Strom aus mitgeführten Batterien betreiben. Um klimaneutral unterwegs zu sein, müssten sie mit Biodiesel oder einem noch zu entwickelnden Treibstoff betrieben werden. Diese Elektrofuels würden hergestellt, indem man durch Elektrolyse gewonnenen Wasserstoff mit dem Kohlendioxid der Luft kombinierte, und wären sehr teuer. Der neuartige Treibstoff würde fast dreimal so viel kosten wie herkömmlicher Diesel.
Nicht bloß die Herstellung der Elektrofuels würde viel elektrische Energie verbrauchen. Riesig wäre der Strombedarf vor allem, wenn man in der Industrie zur klimaneutralen Verfahren übergeht. Zusammengerechnet für alle fünf Hauptbereiche - Industrieproduktion, Stromerzeugung, Nahrungsmittelherstellung, Reise und Transport sowie Heizung und Kühlung - würde sich nach Gates’ Berechnungen bei einem Übergang zu Klimaneutralität der Stromverbrauch verdreifachen.
Wie ließe sich diese gewaltige Menge an Elektrizität erzeugen? Solar- und Windanlagen könnten viel davon bereitstellen. Schon heute produzieren sie Elektrizität kostengünstiger als thermische, mit fossilen Brennstoffen betriebene Kraftwerke. Aber Solar- und Windanlagen liefern Energie nur unregelmäßig - eben nur, wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Man müsste diesen Strom also in sehr großen Mengen speichern, um ihn jederzeit - auch in Zeiten ohne Wind und Sonne - an die Verbraucher abgeben zu können. Pumpspeicherwerke - wie es sie in Österreich gibt - werden dafür niemals in ausreichender Zahl und Kapazität verfügbar sein. Batterien sind jetzt und wahrscheinlich auch künftig nicht dafür geeignet, so große Mengen an Strom aufzunehmen. Andere angedachte Möglichkeiten, elektrische Energie zu speichern, sind noch weit von einer praktischen Anwendung entfernt.
Notwendige Technologien sind noch nicht erfunden
Die Lücke an verlässlich und immer bereitgestellter Elektrizität könnten Atomkraftwerke füllen. Sie produzieren nicht billig. Gegenüber herkömmlichen thermischen Kraftwerken sowie Wind- und Solaranlagen wären AKW nicht bloß dadurch im Vorteil, dass sie Energie verlässlich und stetig liefern. Sie emittieren auch keine Treibhausgase, und der von ihnen erzeugte Strom kostet weit weniger Menschleben als der aus anderen Energiequellen. In China entstehen bis 2025 jährlich sechs bis acht neue AKW. Gates selbst hat, wie er sagt, "etliche hundert Millionen Dollar" in die Entwicklung kleinerer und im Betrieb sichererer Kernkraftwerke investiert. Aber selbst eine breitere Nutzung der Atomkraft könnte einen im Übergang zur Klimaneutralität geschaffenen großen zusätzlichen Bedarf an Strom bei weitem nicht abdecken.
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Etwa die Hälfte des Ausstoßes an Treibhausgasen ließe sich relativ billig - also mit nur geringen Mehrkosten - unterbinden. Danach wird es schwierig und teuer. Man stößt dabei auch ins Ungewisse. Es besteht breite Übereinstimmung zur Forderung, dass jene, die Treibhausgase verursachen, dafür auch zahlen sollen. Wie hoch soll dieser Preis sein? Gates macht dazu den einleuchtenden Vorschlag, dass der Preis den Kosten entsprechen sollte, die entstehen, wenn man CO2, das häufigste Treibhausgas, wieder direkt aus der Atmosphäre herausfiltert. Es gibt aber noch kein Verfahren dafür in großem Umfang. Wahrscheinlich wäre ein solches energie- und kostenaufwendig. Dementsprechend hoch müsste auch eine CO2-Steuer sein.
Technologien, die am schwierigeren zweiten Teil des Weges hin zur Klimaneutralität benötigt werden, sind zum Großteil noch nicht erfunden. Wären sie das einmal, würde es immer noch einige Zeit dauern, bis diese Erfindungen erprobt und schließlich großflächig anwendbar wären. Der Techno-Optimist Gates ist zuversichtlich, dass man diese Herausforderungen bewältigen kann; allerdings eben unter gigantischen Anstrengungen und härtestem Zeitdruck.
Aber auch das scheint noch allzu optimistisch. Das zeigt auch die lange, von Gates vorgelegte Liste jener Techniken und Verfahren, die zur Erreichung von Klimaneutralität benötigt würden, aber noch nicht existieren: die Erzeugung von Plastik, Zement, Stahl und Kunstdünger ohne Treibhausgase; eine neue Generation kleiner, sicherer AKW; Elektrofuels und andere Verfahren, um der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen; die Speicherung großer Mengen Strom; der klimaneutrale Betrieb von Flugzeugen, Schwerlastkraftwagen und Containerschiffen; und vieles mehr.
Schwierige politische Umsetzung
Sind schon diese technischen Probleme gewaltig, so sind sie dennoch weniger schwerwiegend als die politischen Probleme, die das Ziel der Klimaneutralität in die Ferne rücken. Deutschland sieht sich gerne als Klima- und Umweltmusterland. Seine besonders klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke will es aber erst in 18 Jahren schließen. Zu derzeit vielfach nicht vorhandenen Tempolimits auf seinen Autobahnen hat es sich bis heute nicht durchgerungen. In Frankreich hat eine ohnehin nur zaghafte Erhöhung der Benzinpreise lang dauernde, gewaltsame Revolten der "Gelbwesten" ausgelöst. In den USA konnte der abgetretene Präsident Donald Trump mit der Leugnung der Klimakrise politisch punkten. China baut trotz gesundheitsgefährdender Luftverschmutzung jährlich etwa 40 neue Kohlekraftwerke im eigenen Land und etwa 300 in der übrigen Welt. Indien, wird sich - so wie schon früher China - rasch verstädtern. Der Bau großer neuer Städte wird viel Zement brauchen und viel an Treibhausgasen verursachen.
Das Ziel weltweiter völliger Klimaneutralität ist nicht erreichbar. Der Ausstoß an Treibhausgasen wird weiter ansteigen. Dass man dagegen nichts tun kann, sollte man daraus nicht ableiten. Das jeweils Mögliche muss mit aller Kraft angestrebt werden. Auch das würde den weltweiten Ausstoß an Treibhausgasen senken und die mit der Erderwärmung verbundenen Probleme mildern. Daneben aber muss man schon jetzt damit beginnen, sich den Folgen der unausweichlichen Erderwärmung anzupassen und so zum Beispiel flaches Land in Meeresnähe gegen das Ansteigen des Meeresspiegels schützen oder Getreidesorten züchten, die Hitze und Trockenheit widerstehen. Gates selbst ist gemeinsam mit dem ehemaligen UN-Generalsekretär und einer ehemaligen Direktorin der Weltbank Vorstand der "Global Commission for Adaptation", die diese weltweiten Anstrengungen vorantreibt und koordiniert.
Es ist jedenfalls gefährlich und untergräbt das Vertrauen in Politik und Demokratie, die berechtigten Ängste ob des Klimawandels politisch zu instrumentalisieren und das Ziel von Klimaneutralität als erreichbar darzustellen, obwohl schon jetzt klar sein sollte, dass man am Unabdingbaren dieses Anspruchs notwendigerweise scheitern wird. Die Wahrheit ist zumutbar.