Die Naturgewalt Mensch hat das alte Ansinnen und Versprechen, die Erde untertan zu machen, also doch noch einlösen können. Fatalerweise wurde übersehen, was die Natur indes mit uns macht. Drei Überlegungen.
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Acht Milliarden Menschen und ein Bevölkerungswachstum, das noch bis in die 2080er Jahre anhält, verlautbaren die neuesten UN-Prognosen. Während Diskussionen über ausreichende Ressourcen und deren gerechte Verteilung anklingen, ertönt andernorts die Frage, ob die Erde derart viele Menschen verkraften kann. Doch die Lage ist weitaus komplexer. Nicht nur auf der diesjährigen COP27 zeigt sich einmal mehr: Der Klimawandel ist gesellschaftlich weder unbedeutend noch normativ neutral; ihm entlang planetarer Grenzen zu begegnen, erscheint als schier unlösbare Aufgabe.
Normalfall - Notfall - Ernstfall
Allein, Aufgeben ist keine Option. Wo der Normalfall (Klimawandel) durch Extremwettersituationen vom regional singulären Notfall zum globalen Ernstfall voranschreitet, dort beweist die allgemeine Regel nichts mehr und die Ausnahme alles. Denn was wäre, wenn der Hitze- und Trockenheitssommer 2022 gar der kühlste für die nächsten Jahre war?
Zugegeben, es ist ein Gedankenexperiment. Doch als Denkanstoß zur Besinnung und als Reflexionsmoment im Lichte notwendiger Anpassungsstrategien mitunter hilfreich. Angesichts eines möglichen Überschreitens der 1,5-Grad-Schwelle im Laufe der 2030er Jahre müssen auch in Europa Fragen der Resilienz und Anfälligkeit von Siedlungsräumen neu diskutiert werden. Im Sinne einer neuen Ehrlichkeit gilt es - zwischen der Erreichung der Pariser Klimaziele und der Verwirklichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung - die Problematik amplifizierender Kaskadenkrisen eindeutig zu benennen.
Tragödie der Kaskadenkrisen
Kaskadenrisiken - das ist die Manifestation dessen, was der IPCC als irreversible Folgen und Dominoeffekte entlang klimakritischer Kipppunkte bezeichnet. Hier eine versinkende Südseeinsel, dort eine Metropole, die vom Trinkwassermangel bedroht ist. Doch fatalerweise werden diese Klimawandel-Folgewirkungen noch immer als Einzelphänomene aufgefasst - lokal und spezifisch. Richtiger verstanden geht es um Rückkoppelungseffekte und Verweisungszusammenhänge. Es sind Symptome, Ausprägungen einer systemischen Verbundenheit aus regionalen Wettersynthesen und globalen Wechselwirkungen: "regional impacts - global importance".
Klima- und wetterbedingte Katastrophen haben sich innerhalb von 50 Jahren verfünffacht, die wirtschaftlichen Verluste seit den 1970er Jahren versiebenfacht. Das UN Office for Disaster Risk Reduction spricht von bis zu 383 Millionen US-Dollar an Klimaschäden. Und zwar pro Tag und weltweit. Je nach Schätzungen werden 3,5 bis 5 Milliarden Menschen durch den globalen Temperaturanstieg bis 2050 mit physischer Wasserknappheit konfrontiert sein, nachdem Dürren innerhalb einer Generation um fast ein Drittel zugenommen haben. Es sind Folgewirkungen, die im puncto Nahrungsmittelversorgung, Energie- oder Sicherheitspolitik und insbesondere für Frauen und Mädchen im Globalen Süden absolut verheerend sind.
Kluge Transformation zu zirkulärem Wirtschaften
Ist die technische Naturkontrolle damit die große Scheinerzählung der Neuzeit? Gegenwärtig erkennen wir am Klimawandel schmerzlich, dass die Natur als Akteur die Weltbühne betritt. Ein Beitritt, der am Auftreten von Extremwettereignissen fühlbar wird und vor allem die vulnerabelsten Staaten betrifft. Sie sind Hotspots der Klimakrise. Ihre Betroffenheit führt uns das Ausgeliefertsein des Menschen gegenüber den Kräften der Natur vor Augen.
Dass der Klimawandel im Zusammenspiel von Digitalisierung und Nachhaltigkeit als "Twin Transformation" auch ökonomische Chancen birgt, lässt hoffen. Die Digitalisierung sei der Wegbereiter für eine saubere Energiewende. Insofern ist die Transformation nicht so sehr unter dem Gesichtspunkt des Defizitären zu denken, sondern als technologieoffene Innovationschance, die den Übergang zu einer ressourcenschonenden und zugleich wettbewerbsfähigen Wirtschaft ebnet.
Eine kluge Metamorphose, die nicht notwendigerweise eine Umkehr im Sinne des Wohlstands- und Lebensqualitätsverlustes bedeuten muss; vielmehr eine bewusst herbeigeführte Wende des Um- und Aufschwungs durch einen klugen, also smarten Umbau von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaftsweise. Investitionen in klimaresiliente Infrastrukturen sowie Emissionsreduktionen in Richtung Netto-Null-Emissionen bergen sozioökonomische Transformationschancen, entstehen doch alleine in der "Green Economy" rund 24 Millionen neue Arbeitsplätze, so die International Labour Organization.
Bedingungen des Scheiterns
Vielleicht hilft ein Perspektivwechsel, um mit dem zur allgemeinen Meinung neuerer Zeit gewordenen Missverständnis aufzuräumen: Das 1,5-Grad-Ziel ist kein Zielwert, den es zu erreichen gilt, sondern sein Gegenteil. Klar, die Emissionen müssen gesenkt und die Erderwärmung gestoppt werden. Doch die Demarkationslinie von 1,5 Grad ist damit kein Ziel, sondern die Bedingung des kollektiven Scheiterns. Überqueren wir sie, so überschreiten wir Kipppunkte und durchbrechen planetare Grenzen.
Die Selbstverpflichtung auf internationaler Ebene besteht demnach weniger im Erfüllen von bisweilen abstrakt anmutenden Politikvorgaben, sondern im Wissen, wann wir als Staaten- und Weltgemeinschaft eindeutig gescheitert sind. Wie es aussieht, in etwa 380 Gigatonnen CO2 und den nächsten neun Jahren.