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Klimaschutz aus der Vogelperspektive

Von Sophie Karmasin

Gastkommentare
© stock.adobe.com / manu

In Österreich geben bei der Umsetzung klimarelevanter Themen immer noch die klassischen traditionellen Lager den Ton an.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind die drängendsten Herausforderungen unserer Zeit. Die Bilder der jüngsten Unwetter, Überschwemmungen und Waldbrände lassen den Klimawandel sinnbildlich bis in unsere Wohnzimmer hinein real werden. Umfragen lassen keinen Zweifel daran, dass Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen, aber auch Politikerinnen und Politiker den Klimawandel als das wichtigste Thema unserer Zeit ansehen. Der Handlungsdruck auf Politik und Wirtschaft steigt: Nachhaltigkeit und Klimaschutz müssen nachweisbar und spürbar in allen Lebensbereichen verankert werden.

Die zentrale Frage, die sich deshalb stellt, lautet: Warum passiert trotzdem so wenig? Mit der Klimawandel-Landkarte - einer aktuellen Studie von IHS und Karmasin Research&Identity (siehe Wissenskasten) - wollen wir einen Beitrag leisten, die Ursachen dafür zu verstehen und nächste Schritte zu definieren. Dabei haben wir die Vogelperspektive eingenommen und alle für das Thema relevanten Stakeholder systemisch eingeordnet und in Beziehung gestellt: Wer sind die treibenden Kräfte, wer muss noch besser überzeugt werden, wer eignet sich, um das Ganze zu moderieren?

Deutlich wurde, dass in Österreich immer noch die klassischen traditionellen Lager den Ton angeben, sobald es zur Umsetzung klimarelevanter Themen kommt. Die Stereotype oder auch ideologischen Zuschreibungen sind beim Thema Klimaschutz ausgesprochen hoch. Um den Klimawandel erfolgreich zu stoppen, reicht es aber nicht, die Verantwortung zwischen Gemeinden, Ländern, Bund und EU herumzuschieben oder einander jeweils aus einer ideologischen Ecke heraus zu beäugen und zu kritisieren.

Die wahrgenommenen Barrieren gegen Maßnahmen zum Klimawandel sind daher aus Sicht der Expertinnen und Experten sowie der Bevölkerung weniger sachliche Argumente (zu wenig Geld vorhanden, Verlust von Arbeitsplätzen), als vielmehr fehlendes Bewusstsein, politische Argumente, Einwirken von Lobbyisten und fehlendes Verständnis für die Dringlichkeit des Themas. Es handelt sich also um einen Konflikt der Weltanschauungen. Der Klimawandel wird sich von dieser ideologischen Diskussion allerdings nicht beeindrucken lassen. Was es vielmehr bräuchte, ist eine sachliche und wissenschaftliche Diskussion über mögliche Gegenstrategien.

Sophie Karmasin ist Gründerin von Karmasin Research&Identity und außerdem Teil der Forschungsgruppe für Verhaltensökonomie (Insight Austria) am IHS. Von Dezember 2013 bis Dezember 2017 war sie Familienministerin (parteilos).
© Gerhard Schmolke

Der Klimawandel kennt keine ideologischen Lager

Was ist also zu tun? Es müssen neue, kreative Informations- und Überzeugungsstrategien eingesetzt werden, die alle Stakeholder einbeziehen, sachlich informieren, motivieren und wertschätzend in das gemeinsame Vorhaben integrieren. Es braucht Institutionen und gesellschaftliche Akteure, die wissenschaftlich, faktenbasiert und ohne ideologische Brille alle Lager einbeziehen und im Geist des Gemeinsamen an Lösungen arbeiten. Die Energie sollte in das Entwerfen und Prüfen von Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel fließen.

Dabei geht es zuallererst um das Verstehen der Barrieren, aber auch möglicher Motive einzelner Gruppen (wie Unternehmen, Pendlerinnen und Pendler, Jugendliche, aber auch Politikerinnen und Politiker) für Maßnahmen zum Kilmaschutz. In weiterer Folge müssen innovative Maßnahmen entwickelt werden, die ergänzend zu klassischen Politikinstrumenten wie Steuern, Regelungen und Förderungen eingesetzt werden können. Dazu zählen verhaltensökonomische Ansätze, die sehr wirksam sein können und immer unter dem Prinzip der Wahlfreiheit, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung stehen.

Gerade bei der Veränderung von alltäglichem Verhalten im Bereich Mobilität, Ernährung oder Umgang mit Ressourcen geht es nicht nur um rationale und monetäre Faktoren, sondern um psychologische Barrieren und Anreize: Vorbilder, oder auch Defaults (Voreinstellungen), laufendes Feedback oder leicht fassbare Information zum richtigen Zeitpunkt können viel bewirken.

Nachweislich wirksame Beispiele dafür gibt es in der Literatur genug: automatisches Anmelden zur Öffi-Jahreskarte (von der man sich selbstverständlich abmelden kann), Erinnerungsmeldungen zum Radfahren anstelle des Pkw, Verbuchung von mit dem Rad gefahrenen Kilometern als Arbeitszeit, vegetarische Menüs als Standard in öffentlichen Einrichtungen oder das Wiederverwenden von Hotelhandtüchern etwa mithilfe eines Hinweisschildes, das auf die soziale Norm ("schon 75 Prozent verwenden das Handtuch mehrmals") verweist.

Eine gesellschaftliche Transformation kann nur gelingen, wenn wir uns alle bewusst sind, dass der Klimawandel keine ideologischen Lager kennt und nur eine gemeinsame Kraftanstrengung aller Stakeholder zum Erfolg führt. Dabei müssen wir wirksame Werkzeuge der Politikgestaltung einbeziehen und auch auf innovative Maßnahmen setzen.

 

Mit der Klimawandel-Landkarte wurde in einer Befragung von Fachleuten ermittelt, welche Akteurinnen und Akteure glaubwürdig Interesse an einer gesellschaftlichen Transformation haben und welche weniger. Die Klimawandel-Landkarte zeigt systematisch auf, welche Gruppen weiterhin von der Dringlichkeit der Herausforderungen überzeugt werden müssen und welche nächsten Schritte notwendig sind. Es wurden 89 Expertinnen und Experten sowie 1.000 weitere Personen repräsentativ für die Bevölkerung Österreichs befragt.