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Klimaschutz durch Richters Hand

Von Daniel Bischof

Politik

Vor Gericht erzielten Klimaschützer in diesem Jahr mehrere Erfolge. Spielen sich die Richter zu Gesetzgebern auf?


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Sie triumphierten in Deutschland und in den Niederlanden, um dann auch noch in Australien abzustauben: Klimaschützer hatten 2021 vor den Gerichten einen Lauf. Im April erklärte das deutsche Bundesverfassungsgericht das Klimaschutzgesetz für teilweise verfassungswidrig. In dem Gesetz gebe es keine ausreichenden Vorgaben, wie die CO2-Emissionen ab dem Jahr 2031 reduziert werden sollen, kritisierten die Richter.

Im Mai gab ein Bezirksgericht in Den Haag der Klage von Umweltschützern gegen den Öl- und Erdgaskonzern Shell statt. Das Gericht urteilte, dass Shell seinen CO2-Ausstoß bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zu 2019 senken muss. In Australien klagten Umweltschützer die Regierung wegen der Erweiterung eines Kohlebergwerks nahe Sydney. Der Richter verfügte, dass die Regierung bei der Entscheidung über die Genehmigung des Projekts mögliche Schäden für Gesundheit und Wohlstand der jungen Menschen vermeiden müsse.

"Grundrecht auf Zukunft"

Klimaschützer frohlocken, die deutschen Grünen nannten die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einen "großen Erfolg". Ihre Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, Annalena Baerbock, erklärte: "Wir und unsere Kinder haben ein Grundrecht auf Zukunft."

Kritiker werfen den Gerichten hingegen vor, Politik zu betreiben. Im Nachrichtenmagazin "Cicero" zeigte sich Staatsrechtler Sebastian Müller-Franken über die Klima-Entscheidung erstaunt. "Die Frage ist, ob hier das Verfassungsgericht als Verfassungsrechtssetzer tätig geworden ist."

Diese Grenze habe das Bundesverfassungsgericht mit dem Klima-Urteil nicht überschritten, sagt der Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg (CDU) zur "Wiener Zeitung". "Verfassungsgerichte dürfen aufzeigen, dass der Gesetzgeber seine Aufgaben wahrnehmen muss", so Sensburg, der Verwaltungs-, Staats- und Europarecht an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen lehrt.

Ob sich Höchstgerichte vom "negativen Gesetzgeber", der Gesetze aufhebt, zum "positiven Gesetzgeber", der mit seinen Urteilen selbst gesetzgeberisch tätig wird, aufschwingen: Diese Debatte lodert wieder verstärkt auf. "Die Gerichte sind in den vergangenen Jahren beim Treffen von gesellschaftspolitischen Entscheidungen aktiver geworden. Dazu gehört auch der Klimaschutz", sagt Verfassungsrechtler Karl Stöger von der Uni Wien.

Begünstigt werde diese Entwicklung durch das Handeln des Gesetzgebers. "Die Gesetzgebung schafft, teilweise unter dem Druck des Europarechts, zunehmend rechtliche Instrumente, an denen man Verpflichtungen des Staates festmachen kann", sagt Stöger. Doch werde manchmal unterschätzt oder übersehen, dass diese auch Auswirkungen auf die Judikatur haben können.

Ein Beispiel dafür sieht Stöger in den Staatszielbestimmungen. 1984 wurde das Bundesverfassungsgesetz über den umfassenden Umweltschutz erlassen, es folgte im Jahr 2013 das BVG-Nachhaltigkeit. "Diese Bestimmungen geben zwar keine subjektiven Rechte, sind aber Teil der Rechtsordnung und bei der Auslegung bestimmter Fragen zu berücksichtigen", so Stöger.

Das zeige sich auch bei europa- und völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Klimaschutz, die vermehrt von Staaten eingegangen werden. Diese würden oft dazu verpflichten, Klimaschutzziele zu erreichen, sagt Stöger. Lande dann ein Fall vor Gericht, könne der Richter dem Gesetzgeber vorhalten, "dass er sich nicht genug angestrengt hat, um seine selbst gesetzten Ziele zu erreichen".

Bedeutung des Völkerrechts

"Wenn Österreich und Deutschland all diese Verträge zum Klimaschutz unterschreiben und Klimaschutz in den Verfassungen verankern, fordert die Justiz zu Recht die konkrete Umsetzung ein", meint Sensburg. "Die Politik hätte das Kyoto und Paris-Abkommen ja nicht so unterzeichnen müssen." Genauso wäre es möglich, sich festzulegen, dass Naturschutz die wirtschaftliche Prosperität nicht gefährden darf: "Das wären politische Entscheidungen gewesen, gegen die die Verfassungsgerichte nichts machen könnten. Aber das traut sich die Politik nicht."

Einher geht die neue Judikatur mit einer generellen Aufwertung der völkerrechtlichen Verträge zum Klimaschutz, die zuletzt zu beobachten war. "Völkerrechtliche Verträge werden ernster als früher genommen", sagt Verfassungsrechtler Christoph Bezemek von der Uni Graz. Als das Bundesverwaltungsgericht im Februar 2017 den Bau der dritten Piste am Flughafen Wien untersagte, sei in Österreich "noch ein Aufschrei durch das Land" gegangen, sagt Bezemek.

Der Flughafen und das Land Niederösterreich beschwerten sich beim Verfassungsgerichtshof gegen das Erkenntnis. Im Juni 2017 hob es das Höchstgericht auf. "Das Bundesverwaltungsgericht holte sich damals einen Verweis vom Verfassungsgerichtshof ab, weil es die völkerrechtlichen Maßgaben viel zu breit ins Kalkül gezogen habe", sagt Bezemek. So hatte das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auch mit dem Pariser Klimaschutzabkommen begründet. Nach der Aufhebung wanderte der Fall zurück zum Verwaltungsgericht, das im März 2018 das Bauprojekt genehmigte.

Die Entscheidung des Höchstgerichts kritisierte im "Presse"-Rechtspanorama 2017 auch Verena Madner, Professorin für Umweltrecht an der WU Wien. Sie hielt dem Gerichtshof vor, "den Umweltschutz als öffentliches Interesse mit Entschlossenheit weginterpretiert" zu haben. Vergangenes Jahr wurde Madner Vizepräsidentin des Höchstgerichts.

Internationale Einflüsse

Müsste der Verfassungsgerichtshof heute die Entscheidung zur dritten Piste treffen, so würde diese wohl anders ausfallen, so Bezemek. Es dürfe nicht übersehen werden, welch enorme Bedeutung "der internationale Dialog zwischen den Richtern und Gerichten" habe. Das gelte gerade für Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die oft nach Österreich ausstrahlen würden.

Das deutsche Höchstgericht verwies in der Klima-Entscheidung explizit auf die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens. Es sei auch mit den Grundrechten unvereinbar, dass im Klimaschutzgesetz "hinreichende Maßgaben für die weitere Emissionsreduktion ab dem Jahr 2031 fehlen". Die Schutzpflicht des Staates umfasse "die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels" zu schützen. Sie könne eine "Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen begründen".

Ähnlich argumentierte das australische Gericht: Die Regierung sei bei ihrer Entscheidung über den Ausbau des Kohlebergwerks verpflichtet, mögliche Schäden für die künftige Generation abzuwenden. Es gehe auch um deren "Unschuld" an der Klimakrise.

Solche Schutzpflichten des Staates sind "strukturell an sich nichts Neues", sagt Bezemek. Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verpflichtet den Staat zum Schutz des Lebens, Schutzpflichten lassen sich etwa auch aus dem Recht auf Privat- und Familienleben (Art 8 EMRK) herleiten. Von Gerichten wie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sei schon oft festgestellt worden, "dass der Staat nicht genug getan hat, um seine Bürger zu schützen", sagt Bezemek.

Warnung vor Richterstaat

Für den Verfassungsrechtler Peter Bußjäger von der Uni Innsbruck besteht aber die Gefahr, dass die Schutzpflichten des Staates zu weit ausgeweitet werden: "Je stärker man die Schutzpflichten einfordert, umso größer wird die politische Rolle der Gerichte." Das würde den "Richterstaat stärker befördern, als das sonst der Fall wäre" und könnte die Gerichte dazu verleiten, "den Gesetzgeber zu spielen", sagt Bußjäger.

Wohin die Reise geht, könnte sich in Deutschland zeigen. Nach dem Klima-Urteil beschloss der Bundestag Ende Juni ein neues Klimaschutzgesetz, das auch Ziele zur CO2-Reduktion über das Jahr 2030 hinaus enthält. Sensburg geht davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht in der Causa aber erneut angerufen wird, da manchen Gruppen die Zielsetzung nicht weit genug gehe.

Die Verfassungsgerichte müssten zwar eine Plausibilitätskontrolle aufnehmen, erklärt Stöger: "Eine völlig untaugliche Maßnahme wäre wohl aufzugreifen." Bisher sei von den Gerichten aber auch stets der Spielraum des Gesetzgebers betont worden: "Dass man es anders oder besser machen kann, wird wohl nicht reichen." Die Frage sei, wie sich die Gerichte künftig positionieren würden, sagt Stöger. Für Sensburg steht fest: "Für die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen ist der Gesetzgeber zuständig."