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Klimaschutz fängt im Kleinen an

Von Lukas H. Meyer

Gastkommentare
Lukas H. Meyer ist Professor für Philosophie und Leiter des Arbeitsbereichs Praktische Philosophie am Institut für Philosophie der Universität Graz. Als einer der ersten Autoren unter den Philosophen hat er zum Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC) beigetragen. Er ist Co-Sprecher des Forschungsschwerpunkts "Climate Change Graz" und Leiter des vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Doktoratskollegs "Klimawandel - Unsicherheiten, Schwellenwerte und Strategien" mit exzellenten jungen Forschern aus aller Welt.
© Uni Graz / Kernasenko

Wir alle können einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, nicht zuletzt durch die Verringerung privater Emissionen. Die Politik muss eine faire Verteilung der Belastungen sicherstellen.


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Dass alle Akteure, von Großunternehmen bis Einzelpersonen, in der Verantwortung stehen, zur Vermeidung gefährlichen Klimawandels beizutragen, kann als weithin unumstritten gelten. Aber was bedeutet dies aus Sicht des Ethikers? Vorweg sei betont, dass eine Betrachtung aus ethischer Sicht nicht mit moralischen Urteilen, insbesondere nicht mit moralischen Verurteilungen, einhergeht. Ethisch nachdenken ist nicht moralisieren. Vielmehr geht es darum, moralische Urteile und Argumente zu analysieren und auf ihre Plausibilität zu prüfen.

Ich setze voraus, dass die jüngst auf der Klimakonferenz COP26 in Glasgow bestätigten Ziele des Pariser Klimavertrags gelten, insbesondere Netto-Null-Emissionen bis 2050 und die Beschränkung des globalen CO2-Haushalts, sodass die Temperatur durchschnittlich auf nicht mehr als 1,5 Grad steigt oder jedenfalls mit hoher Sicherheit weit unter 2 Grad bleibt, um einen katastrophalen Klimawandel noch abzuwenden.

Je nach Verteilungsansatz, den wir zugrunde legen, ob wir Pro-Kopf-Gleichverteilung anwenden oder den globalen CO2-Haushalt mittels Kontraktion und Konvergenz aufteilen, ergeben sich für Länder oder Ländergruppen unterschiedlich große nationale oder regionale CO2-Haushalte, mit denen es bis 2050 auszukommen gilt. Noch wichtiger als die Wahl zwischen diesen beiden Verteilungsansätzen für die Größe der jeweiligen Haushalte ist, wie jüngste, an der Universität Graz und am IIASA durchgeführte interdisziplinäre Studien zeigen, wie diese Ansätze interpretiert werden, insbesondere ob vergangene Emissionen seit 1990 berücksichtigt werden. Von der Größe des Haushaltes hängt ab, welche Optionen die Länder bei der Transformation zu Netto-Null-Emissionen bis 2050 haben beziehungsweise wie hoch die Kosten der Transformation sind.

Drastische Verringerungen der globalen Emissionen notwendig

Allerdings: Ob es innerhalb Europas und global gelingt, die Pariser Ziele zu erreichen, ist unsicher. Viele würden sagen, die Chancen dafür stehen schlecht. Denn in Summe reichen die gemachten einzelstaatlichen Verpflichtungen dafür nicht aus. Zudem spricht nicht nur wenig dafür, dass die Staaten ihre Verpflichtungen ausreichend nachbessern, sondern in der Erfüllung ihrer Verpflichtungen sind sie ausgerechnet bei Maßnahmen zur Verringerung von Treibhausgasemissionen bereits bisher häufig säumig gewesen.

Alle Akteure, wir als Einzelpersonen ebenso wie Unternehmen, treffen ihre klimarelevanten Entscheidungen vor insbesondere diesem Hintergrund. Nur drastische Verringerung und globale Begrenzung der Emissionen können mit hoher Sicherheit das Risiko von katastrophalen Klimaschäden verringern. Einzelakteure können nicht wissen, welchen Unterschied sie mit Blick auf die Erreichung der Pariser Ziele und der Abwendung eines gefährlichen Klimawandels tatsächlich machen, wenn sie die gemessen an den globalen Emissionen geringen von ihnen verursachten Emissionen bei der Produktion von Gütern, beim Transport, bei der Bereitstellung von Dienstleistungen oder in ihrer Freizeit verringern, womöglich sogar auf Netto-Null drücken. Aber sie können einen Unterschied machen.

Zwar sind die Unsicherheiten hoch, welchen Unterschied einzelne oder geringe Mengen an Emissionen verursachen. Das ändert aber nichts daran, dass jede und jeder zu einer Temperaturerhöhung beiträgt und damit erwartbar zu Klimaschäden beitragen kann. Zudem muss der Unterschied, den kleine Mengen an Emissionen machen, nicht notwendigerweise selbst klein sein. Erstens ist zu berücksichtigen, dass die durch Emissionen verursachten Klimaänderungen und Klimaschäden sehr viele Menschen betreffen. Die erwartbaren Schäden sind also zu summieren, und der Unterschied, den auch kleine Mengen an Emissionen machen, kann daher entsprechend groß ausfallen. Wichtiger noch ist, dass kleine Mengen an Emissionen aufgrund der Kipppunkte (Tipping-Points) des globalen Klimasystems sehr große Wirkung haben können, wenn auch die Wahrscheinlichkeit dafür sehr gering sein mag.

Manche meinen, der jetzige Verzicht auf eine Handlung, die Emissionen verursache, mache keinen Unterschied, da angesichts der andauernden Verursachung von Emissionen durch so viele Beteiligte dieselbe Konzentration an Treibhausgasen in der Atmosphäre dadurch nur einen winzigen Moment später erreicht werde. Jedoch ist wegen der Instabilität der Atmosphäre die Annahme falsch, eine bestimmte Menge an Treibhausgasen zu verursachen, ziehe unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Verursachung dieselben erwartbaren Schäden nach sich. Mit Sicherheit können wir also nicht wissen, welche Schäden durch geringe Mengen an Emissionen verursacht werden, und sie könnten sehr groß sein.

Individuelle undpolitische Verantwortung

Aus ethischer Sicht ist also ein Grund, weshalb wir alle, ob als Einzelpersonen oder Institutionen, unsere Emissionen auf Netto-Null reduzieren sollen, dass wir dadurch das Risiko verringern, durch unser Handeln Klimaschäden und womöglich sehr gravierende Klimaschäden für viele Menschen zu verursachen. Emissionen zu reduzieren, kann zudem nicht nur Vorbildwirkung haben, wodurch deren Wirkung verstärkt wird. Sondern, entsprechend kommuniziert und von politischen Entscheidungsträgern verstanden, können Emissionsreduktionen durch Einzelakteurakteure auch die politischen Kosten der Entscheidung zugunsten staatlicher Maßnahmen der Emissionsreduktion und ihrer Durchsetzung senken.

Durch Emissionsreduktion individuell Verantwortung für den Klimawandel zu übernehmen, kann daher auch ein Beitrag zur Erfüllung politischer Verantwortung sein. Allerdings kann der politischen Verantwortung, zur fairen Transformation hin zu Klimaneutralität beizutragen, auf vielfache Weise entsprochen werden, und nicht alle gehen mit Emissionsreduktionen einher. Handlungsoptionen einzelner Akteure können durchaus in Konkurrenz zueinander stehen und stellen uns vor schwierige Abwägungsfragen. Zudem darf nicht vergessen werden, dass die notwendige Transformation auch mit besonders hohen Belastungen für bestimmte Personen oder Personengruppen einhergehen kann, etwa durch den Verlust ihrer Lebensgrundlage. Die politische Verantwortung bezieht sich auf die faire Verteilung aller Belastungen, die sich aus den Kosten der Emissionsreduktionen, Anpassungen an veränderte Lebensumstände und den nicht vermiedenen oder praktisch unvermeidbaren Verlusten ergeben.

Mehr Info: https://scilog.fwf.ac.at