Der europäische Green Deal muss zu einem globalen Green Deal werden.
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Die Europäische Union ist lobenswerte Verpflichtungen eingegangen - insbesondere mit dem Vorhaben, die eigenen Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu senken. Als einziger großer Wirtschaftsraum hat die EU Pläne entworfen, um jene drastischen Senkungen vorzunehmen, die nach Einschätzung des Weltklimarats der Vereinten Nationen notwendig sind, um einen verheerenden Klimawandel einzugrenzen.
Der blinde Fleck der grünen EU-Politik sind die Folgen dieses Regelwerks für andere Regionen. Um das Klima zu stabilisieren und einen Kollaps der Artenvielfalt zu verhindern, müssen die EU und die anderen großen Verbraucherländer einen globalen Übergang zur Nachhaltigkeit vorantreiben. Es gibt nun einmal nur ein Klima, und ein Kontinent kann nicht im Alleingang den Weg in die grüne Zukunft einschlagen.
Der jüngst veröffentlichte Bericht "International System Change Compass" ("Internationaler Systemwandelkompass") liefert eine umfassende Analyse von Möglichkeiten, wie die EU andere Regionen bei diesem Übergang unterstützen kann. Die EU muss nicht nur ihre eigene Wirtschaft dekarbonisieren, sondern auch ihre globalen ökologischen Effekte begrenzen, indem sie ihren Verbrauch von Rohstoffen aus anderen Erdteilen reduziert. So ließe sich eine Reduktion europäischer Netto-Klimaauswirkungen im globalen Kontext realisieren. Außerdem ließen sich so gefährliche Abhängigkeiten wie jene vom russischen Gas umgehen, die die EU jetzt verzweifelt zu abzubauen versucht.
Moralische Verantwortung auf drei Ebenen
Europa muss seiner moralischen Verantwortung auf drei Ebenen gerecht werden. Zunächst einmal ist da die historische Verantwortung: In den drei Jahrhunderten seit Beginn der industriellen Revolution hat Europa einen großen Teil der Treibhausgase ausgestoßen, die sich heute in der Atmosphäre befinden. Im Gegensatz dazu haben jene Teile der Welt, die am unmittelbarsten vom Klimawandel betroffen sind, am wenigsten dazu beigetragen. Europa steht folglich in der Pflicht, diese Regionen auf dem Weg zur Klimaneutralität zu unterstützen.
Die zweite Verantwortung erwächst aus Europas Überkonsum der globalen Ressourcen, der auf anderen Kontinenten den Abbau von Bodenschätzen, die Entwaldung und die Schadstoffbelastung vorantreibt. Die europäische Nachfrage ist für 17 Prozent der Abholzung von Tropenwäldern im Zusammenhang mit international gehandelten Waren wie Fleisch, Palmöl oder Soja verantwortlich - und somit nach China der größte Verursacher der Abholzung von Tropenwäldern und der damit verbundenen Emissionen. Anstatt ökologische Folgeschäden auszulagern, muss die EU Rohstoffe viel effizienter nutzen und zu einer Kreislaufwirtschaft übergehen.
Aktuell zeichnet sich eine dritte Verantwortung ab: Europas Dekarbonisierungsbestreben treibt die weltweite Nachfrage nach wichtigen Rohstoffen für die Herstellung von Batterien, Solarzellen und anderen Technologien, die für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen benötigt werden, in die Höhe. Die Dekarbonisierung der am stärksten klimaschädigenden Wirtschaftsräume ist für die Vermeidung einer verheerenden Erderwärmung unabdingbar, weshalb die EU zu Recht ehrgeizige Ziele für den eigenen Kontinent setzt. Um allerdings ein neues Kapitel gewaltiger Rohstoffausbeute zu vermeiden, das an Kolonialzeiten anknüpft, braucht es einen ganzheitlichen und umfassenden politischen Plan.
Energieverbrauch reduzieren, Umstellung anderer unterstützen
Es ist ein komplexes politisches Dilemma: Die Welt braucht wichtige Rohstoffe für die regenerative Energieerzeugung, und Europa sollte nicht einfach anstreben, nicht-russische Quellen für fossile Brennstoffe zu erschließen. Zugleich würde die bloße Substitution einer Energietechnologie durch eine andere einen regelrechten Boom beim Abbau von Bodenschätzen auslösen, der die Ökosysteme zugrunde richtet und Wasser und Boden mit Schadstoffen belastet.
Um die Welt in Richtung Nachhaltigkeit zu führen, muss sich die EU stattdessen auf drei Ziele konzentrieren. Das am schnellsten und einfachsten zu erreichende ist eine erhebliche Reduktion des europäischen Energieverbrauchs. Die Internationale Energieagentur hat errechnet, dass sich die Nachfrage nach Erdöl in nur vier Monaten um 2,7 Millionen Barrel pro Tag senken lässt, wenn die reichen Länder ein Zehn-Punkte-Programm umsetzen, und auch für die Senkung des Erdgasverbrauchs gibt es viele Möglichkeiten. Im Zuge der Dekarbonisierung muss die EU durch ihre Entwicklungshilfearbeit bedeutende Ökosysteme wie die Wälder schützen und dieses Ziel in die internationalen Partnerschaften der EU-Kommission integrieren.
2022 ist ein entscheidendes Jahr für eine gerechte Energiewende. Bei der Weltklimakonferenz "COP26" in Glasgow im vergangenen November wurde dem Thema Klimagerechtigkeit zwischen dem globalen Süden und dem globalen Norden mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Neben der Bereitstellung von Mitteln zur Klimafinanzierung, um Länder bei der Anpassung zu unterstützen, muss die EU ihre Außenpolitik in umfassender Weise auf den globalen Green Deal abstimmen. Konkret bedeutet das, dass Europa über eigene kurzfristige Interessen hinaus auch andere Länder beim Umstellungsprozess unterstützen muss. Dies ist besonders wichtig für Länder, deren Wirtschaft größtenteils auf die Bedienung von Konsumstrukturen in einkommensstarken Regionen ausgerichtet ist, was eine Umstellung auf grüne Technologien erschwert. So machen beispielsweise Textilien 90 Prozent des gesamten Handelsvolumens von Bangladesch aus, wobei 56 Prozent der Produktion für Europa bestimmt sind. Die EU muss dazu beitragen, die sozialen Auswirkungen in diesen Ländern abzufedern, indem sie ihre Importe nicht-nachhaltiger Produkte reduziert und Emissionen besteuert.
Diese Maßnahmen sind wichtig und notwendig, doch wird der allgemeine Nachfragerückgang bei Treibstoffen, Rohmaterialien und Waren zu wirtschaftlichen Erschütterungen bei den Handelspartnern führen. Ein wichtiges neues Ziel der Handels-, Landwirtschafts- und Entwicklungspolitik der EU muss es sein, Länder wie Bangladesch bei der Umstellung auf eine nachhaltigere (und gerechtere) wirtschaftliche Produktion zu unterstützen, die gleichzeitig weiterhin Zugang zu europäischen Märkten hat.
Weltweite Vorreiterrolle für Europa beim Klimaschutz
Der "Internationale Systemwandelkompass" zeigt die Möglichkeiten für Europa auf, bei wirksamen Klimaschutzmaßnahmen weltweit eine Vorreiterrolle einzunehmen, beispielsweise durch eine Neudefinition von Wohlstand als Lebensqualität, durch eine ökologisch ausgerichtete Preisgestaltung in der Wirtschaft und durch eine Neuausrichtung der internationalen Beziehungen auf einen effizienten und fairen grünen Wandel.
Wenn die EU jetzt in den Systemwandel investiert, dann lassen sich die Spannungen im Zusammenhang mit Wasser- und Nahrungsmittelknappheit und der Wettbewerb um Ressourcen, die andernfalls zu künftigen Konflikten führen werden, verringern. Dies ist Europas Chance, energie-, umwelt- und geopolitische Sicherheit für die eigene Bevölkerung zu gewährleisten und Gesellschaften rund um den Globus widerstandsfähiger gegen künftige Erschütterungen zu machen.