Übe Verzicht, mahnen Klimaschützer Konsumenten, die Erde braucht es. Doch das fällt nicht immer leicht.
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Fastenzeit steht für Verzicht, die Enthaltung von gewissen Aktivitäten. Statt Fleisch Hering, statt Alkohol Tee, statt Social Media meditieren, statt ausgehen zu Hause bleiben, weniger essen, mehr Sport. Zwar ist das alles noch keine Askese. Dennoch lässt sich wohl sagen, dass der Verzicht auf Gewohntes durchaus die Selbstkontrolle schult. Und die ist zunehmend gefordert, zumindest in einem gewissen Maß.
Weniger Fleisch zu essen als bisher. Seltener und langsamer mit dem Auto zu fahren, weniger häufig zu fliegen. Nicht alle Konsumgüter zu kaufen, die einem gefallen könnten, Abfälle sorgsam zu trennen, Dinge in Plastikverpackungen zu vermeiden - sie alle sind Gebote der Stunde. Übe Verzicht, mahnen Klimaschützer die Konsumgesellschaft in verschiedenen Worten, die Erde braucht es, und es braucht kein Genie, um zu verstehen, dass weniger Konsum, weniger Müll und weniger Abgase für die Umwelt ein Segen wären.
Dennoch ändern wir unser Verhalten nicht. Selbst Menschen, die Hitzewellen, orkanartige Stürme oder tagelangen Starkregen selbst erleben, fahren weiterhin mit dem Auto, buchen Flüge, heizen bei offenem Fenster und kaufen Massenware. Zwar sind von Extremwetter Betroffene eher davon überzeugt, dass der Klimawandel keine vage Idee in einem fernen Zukunftsbild, sondern ein menschengemachtes Faktum ist, das hier und heute passiert. Doch im Großen und Ganzen machen sie weiter wie bisher. Das berichtet der Umweltsoziologe Tobias Rüttenauer vom britischen University College London auf Basis einer Auswertung der Befragungsdaten von mehr als 35.000 Personen.
Festhalten an "unserer Freiheit"
Am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) im niederösterreichischen Laxenburg ist ein Österreichischer Sachstandsbericht zum Klimawandel als Input für Politik und Gesellschaft in Arbeit. "Wir wissen, dass die Erderhitzung menschengemacht ist, so sehr, wie man etwas wissenschaftlich wissen kann. Aber es gibt Leute, die mit mir über Social Media tatsächlich darüber diskutieren, ob 100 oder doch nur 95 Prozent der Erderhitzung auf unsere Emissionen zurückgehen", sagt IIASA- Klimaforscher Daniel Huppmann.
Verhalten zu ändern sei "deswegen so schwierig, weil das an unsere Lebensgewohnheiten geht. Der Verlust des Parkplatzes vor der Tür tut viel mehr weh, als die Begrünung, die stattdessen gepflanzt wird, einen erfreut", erklärt Huppmann. Wenn einem weggenommen wird, was einem gehört, erzeuge das ein emotionales Problem. "Selbst an Lungenkrebs Erkrankte gehen im Spital vor die Tür und rauchen. Wenn man das einmal begreift, versteht man auch besser, warum manche Menschen den Klimawandel leugnen", berichtet er.
Denn wir Menschen mögen es nicht, auf etwas verzichten zu müssen. Noch unfreiwilliger geben wir erworbene Rechte her, die wir als "unsere Freiheit" betrachten. Tempo 100 auf der Autobahn? Will ich mir nicht vorschreiben lassen. Verpackungsfrei einkaufen? Zu kompliziert, wer schleppt schon die ganze Tupperware zum Abfüllen mit sich herum. Und so ganz nebenbei sind wir nicht 100-prozentig im tiefsten Herzen davon überzeugt, dass das eigene, kleine, persönliche Verhalten die Welt retten kann. Die Statistiken scheinen nämlich ganz anderes abzubilden.
Pakete statt Shopping City?
2021 wurden in Österreich 77,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente emittiert. Laut einer Gliederung des Umweltbundesamtes nach Sektoren gehen 44,4 Prozent oder fast die Hälfte auf das Konto von Industrie und Energie. 27,8 Prozent der Treibhausgase erzeugt der Verkehr, 11,7 Prozent der Gebäudebereich, 10,6 die Land- und 3 die Abfallwirtschaft sowie 2,4 Prozent fluorierte Gase, die in der Industrie zum Einsatz kommen. Statistiken über mehrere Länder und Kontinente des Welklimarats IPCC zeigen ein ähnliches Bild. Und in Anbetracht mächtig diffuser Schlagwörter wie "Industrie", "Gebäudebereich" oder "Abfallwirtschaft" könnte man durchaus zum Schluss kommen, man hätte damit wenig zu tun.
Dass die abgasintensive Industrie aber Güter für uns produziert, die wir bereitswillig kaufen, bedenken wir gerne nicht, auch weil wir die eigenen Emissionen im Einzelnen gar nicht kennen. Der Privatkonsum - also der kleine, persönliche Anteil, den jeder und jede durch Mobilitätsverhalten, Energieverbrauch, Nahrungsmittelverbrauch, Wohnen in Häusern aus klimaschädlichen Baumaterialien oder Nutzung von Plastik in all seinen Formen an den Emissionen hat -, ist in Statistiken kaum herausgerechnet. Welchen Nutzen es also tatsächlich hätte, wenn alle Menschen konsequent statt mit dem Aeroplan mit der Bahn in den Urlaub fahren würden, und so weiter, ist wenig bekannt.
Und was jetzt?
Also müssen wir Details zusammenfügen. Beginnen wir beim ökologischen Fußabdruck. Der lässt sich auf der Homepage des Klimaschutz-Ministeriums ausrechnen und die Autoren dort kommen zum Schluss, dass wir so nicht mehr weitertun können. Teile man nämlich die biologisch produktive nutzbare Fläche der Erde (12,4 Milliarden Hektar im Jahr 2022) auf die Erdbevölkerung auf, entfallen 1,6 globale Hektar - so heißt die Messeinheit - auf jeden Menschen. "Mittlerweile beansprucht jede Österreicherin und jeder Österreicher aber im Durchschnitt 6 globale Hektar, um seine persönlichen Ansprüche zu erfüllen. Wenn alle acht Milliarden Menschen so leben würden wie wir, bräuchten wir fast vier Planeten von der Qualität der Erde", heißt es klar.
So weit, so beeindruckend. Und was genau ist jetzt zu tun, um die Lage nicht noch weiter zu verschlimmern? Starten wir beim persönlichen Einkauf. In einem Studienvergleich kommt das deutsche Umweltbundesamt zu dem Schluss, dass der Onlinehandel weniger CO2-Ausstoß verursacht als Supermärkte und Einkaufszentren. Also müssen wir kein schlechtes Gewissen haben, wenn wir Pakete empfangen, anstatt uns in der Shopping City zu tummeln. Etwas anders würde die Bilanz aussehen, wenn es lokale Nahversorger wie früher gäbe. Denn die sind genau das, was fehlt - insbesondere auf dem Land.
Wenig Wahl am Land
Außerhalb von Ballungszentren heißt es für Güter des täglichen Bedarfs mit dem Auto zum Billa fahren, wo bei der Produktwahl die nächste Herausforderung lauert. Ist Milch in Glasflaschen tatsächlich klimafreundlicher als die in PET-Packerln? Um diese Frage verlässlich zu beantworten, müsste man die Emissionen des Glas-Recyclings studieren und sie mit jenen vergleichen, die bei Produktion und Entsorgung von Milchpackungen aus dem gewachsten Karton entstehen.
Gerade weil im Alltag recht unklar ist, was Schritte, die im Allgemeinen als nachhaltig verstanden werden, tatsächlich bewirken, fällt es uns möglicherweise so schwer, einen gesunden Verzicht zu üben. Weiters spielen Geldbörse oder Physis ihre Rollen: Bio-Produkte sind für Menschen mit kleineren Einkommen original nicht leistbar, entfernte Supermärkte für ältere Menschen auf dem Land zu Fuß oder selbst zu Rad nicht erreichbar.
Wie komplex die Systeme hinter der Konsumgesellschaft sind, wurde auch im Rahmen einer Pressekonferenz diese Woche deutlich. Etwa nötigt die sogenannte Stellplatzverordnung Bauträger ungeachtet des Bedarfs, Parkplätze für Autos zu errichten. Das heißt, es werden Asphaltflächen geschaffen, die niemand nutzt. In Ortszentren mache man damit private Pkw attraktiver als den klimafreundlicheren öffentlichen Verkehr, und rund um die Gemeinden würden "Österreichs fruchtbarste Böden" versiegelt, kritisierten Experten. "Stellplatzverpflichtungen stammen aus einer Zeit, als die motorisierte Mobilität der Bevölkerung explizit vorangetrieben wurde", erklärte Birgit Hollaus vom Institut für Recht und Governance der Wirtschaftsuniversität Wien. Damals war Vollmotorisierung das erklärte gesellschaftliche und politische Ziel.
Schulung der Selbstkontrolle
Dem Klimaschutz Vorrang zu geben, birgt allerdings bei dünnen Öffi-Netzen in vielen Regionen gewissen Schwierigkeiten. Wir leben in einer Zeit, in der neue Verordnungen verhängt werden, bevor wir die Mittel zu deren Umsetzung haben - Konsumverzicht oder nicht.
Dennoch lohnt es sich enorm, um ein nachhaltiges Leben bemüht zu sein, sowohl für den Planeten als auch für die Schulung der Selbstkontrolle. Dabei geht es um die Erkenntnis, dass nicht alles sein muss. Nicht alles gekauft werden muss. Andauernder Überfluss belastet, während nur das zu kaufen, was tatsächlich gebraucht wird, Klarheit schafft, ein überladenes Eigenheim verhindert und den Haushaltsmüll schrumpft. Die jetzige Grundlage eines Systems, das auf maximalen Konsum ausgerichtet ist, ist falsch. Um aber das System zu verändern, müssen wir bei der eigenen Einstellung beginnen. Denn Individuen formen die Haltung ganzer Gesellschaften, welche Verordnungen und Gesetze hervorbringen.
Wollen wir uns dabei wirklich über den Preis regieren lassen? Kommt ein nachhaltiges Leben tatsächlich nur dann in Frage, wenn Energie teuer oder gar das Benzin rationiert wird? Oder sind wir nicht doch in der Lage, uns ohne Zwang für ein fortschrittliches Leben zu entscheiden? Es bleibt abzuwarten. Zur Motivation seien weitere Zahlen genannt. Abgase aus dem Flugverkehr betragen je nach Rechnung zwischen 2,5 (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) und 3,06 Prozent (Klimaschutz-Portal des deutschen Luftverkehrs). Wenn alle Menschen nur halb so viel fliegen würden, wären es nur 1,25 und 1,5 Prozent. Etwas Ähnliches ließe sich ausrechnen, wenn jeder Mensch in den reichen Ländern im Jahr 2.000 Kilometer weniger mit dem Auto zurücklegen würde.
Flüge, Beton und Textilien sparen
Die weltweite Zementproduktion bläst viermal so viel CO2 in die Luft wie der Flugverkehr, ist also für bis zu zwölf Prozent der Emissionen verantwortlich. Wenn es gelänge, in der Bauwirtschaft ein Drittel davon durch Holz zu ersetzen, wären es acht Prozent und käme der Effekt der benötigten Wälder auf das Klima dazu.
Einem EU-Bericht zufolge verursacht die Textilindustrie weitere zehn Prozent der CO2-Emissionen. Zu den zentralen Problemen zählen hoher Wasserverbrauch, Wasserverschmutzung, Ausstoß an Treibhausgasen und Berge an Müll. Freilich leben viele Menschen von der Arbeit in diesem Sektor, aber oft reist ein Kleidungsstück 20.000 Kilometer, bis es in Europa ankommt. Wäre es echt ein Verzicht, etwas weniger Kleidung zu kaufen, die einem aber wirklich gefällt?
Außerdem spart es Geld, Energie, Aufmerksamkeit, Zeit. In diesem Sinne geht der Verzicht auf Überkonsum sogar mit persönlichem Gewinn einher. Und wer einmal begonnen hat, abzuschlanken, tut sich nicht schwer, neue Gewohnheiten auszuweiten.