Zum Hauptinhalt springen

"Klopapier-Effekt" bei Grippeimpfungen

Von Eva Stanzl

Wissen
Nicht das Coronavirus, sondern das Influenzavirus regiert die Impfsaison.
© adobestock/abhijith3747

Mediziner raten heuer dringend zur Grippeimpfung. Das Problem ist nur, dass der Impfstoff knapp ist. | Medizinische Gründe für Vakzin-Engpässe, Herstellung und Wirkungsmechanismen im Überblick.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Pharmakonzerne Pfizer und Biontech wollen ihren klinischen Versuch eines Covid-19-Impfstoffkandidaten in der entscheidenden Phase III um die Hälfte vergrößern, um besser abgestützte Daten zu Sicherheit und Wirksamkeit zu gewinnen. Das gaben die beiden Unternehmen am Freitagnachmittag bekannt. Ob diese Aufstockung von 30.000 auf 44.000 Teilnehmer aber tatsächlich zeitnah zu einer Impfung gegen die pandemische neue Lungenkrankheit führen wird, muss sich erst weisen. Vor diesem Hintergrund raten Mediziner jedenfalls mit Nachdruck zur bereits vorhandenen Grippeimpfung, die zwar nicht gegen Covid-19 schützt, jedoch dabei helfe, besonders schwere Krankheitsverläufe durch Doppelinfektionen und eine Überbelastung in Spitälern zu vermeiden. Das Problem ist nur, dass in weiten Teilen des Landes der Impfstoff knapp ist.

Erst diese Woche gab es etwa am Klagenfurter Gesundheitsamt einen Ansturm auf Impf-Termine. Innerhalb eines Tages sei das für heuer vorhandene Vakzin von 2.800 Dosen vergriffen gewesen, teilte die Stadtpresse mit. Nach dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie habe man zwar versucht, das übliche Kontingent aufzustocken, sei aber gescheitert. Zuvor war aus Wien von mangelnden Vorräten insbesondere in Apotheken und Arztpraxen berichtet worden, nachdem die Stadtregierung für ihre Gratis-Impfaktion ein Kontingent von 400.000 Dosen aufgekauft hatte. "Bei der Grippe-Impfung hat Österreich heuer ein Kontingent von 1,25 Millionen Dosen zur Verfügung. Es braucht eine gute Verteilung", donnerte dazu der Verband der Arzneimittel-Vollgroßhändler.

Impfstoff-Engpässe haben aber nicht nur verteilungstechnische, sondern auch klare medizinische Gründe. Bis dato war die Grippeimpfung bei den Österreicherinnen und Österreichern nämlich ziemlich unbeliebt. "Bei den Grippe-Impfungen ist ein Klopapier-Effekt eingetreten. Es ist ähnlich wie bei Hamsterkäufen: Die Leute hören, dass Impfungen knapp sind, und wollen sich alle impfen lassen. Knappheiten haben ihren Ursprung jedoch in der schlechten Impfquote der Vergangenheit", sagt Ursula Wiedermann-Schmidt, Professorin für Vakzinologie der Medizinischen Universität Wien. "In den letzten Jahren hatten wir eine Influenza-Durchimpfungsrate von weniger als zehn Prozent der Bevölkerung. Das hat das entsprechende Kontingent zur Folge."

Lagerung kaum möglich

Konkret plant jedes Land am Ende der Impfsaison den zu erwartenden mengenmäßigen Bedarf für das kommende Jahr. Da im Oktober und November geimpft wird, um für den Höhepunkt der Influenza-Welle im Jänner und Februar gerüstet zu sein, fällt diese Entscheidung gegen Ende des Jahres. Da nicht verwendete Dosen nicht gelagert werden können und weggeworfen werden müssen, beauftragte Österreich Ende 2019 die übliche Menge. Sars-CoV-2 war damals ein lokales Phänomen in China. Anfang 2020 begann die Situation, sich komplett zu ändern. Erste Covid-Fälle traten parallel zur Grippe-Epidemie ein.

Wie viele neue Dosen jetzt benötigt werden, hängt von der Impfstrategie eines Landes ab. "Man impft nicht alle acht Millionen Bürger Österreichs, weil das gar nicht nötig ist", erklärt Wiedermann-Schmidt: "Wir konzentrieren uns natürlich auf die Impfversorgung all jener, die einen schweren Verlauf erleiden können - also Risikogruppen, Ältere und Schwangere. Heuer implementieren wir zudem erstmals auch ein Gratis-Kinder-Impfgrogramm mittels Nasenspray-Vakzinen für Kinder in Schulen, Kindergärten und Krippen."

Kinder geben das Grippevirus am häufigsten weiter. Laut Experten ist es wirksamer, 20 Prozent von ihnen zu impfen, als 90 Prozent der älteren Personen, da dies mit weniger Todesfällen bei Älteren einhergeht. Gesundheitsbehörden und Kliniken konzentrieren sich außerdem auf eine hohe Durchimpfungsrate bei Gesundheits- und Pflegepersonal.

Virenvermehrung in Eiern

Doch wie wird die Grippeimpfung hergestellt? Traditionellerweise werden Hühnereier verwendet, weil sich das Influenza-Virus in ihnen besonders gut vermehrt. Ursprünglich entstand die Influenza in Vögeln. Grippeviren werden also in die Eier eingebracht. "Nach einer gewissen Zeit werden sie dann aus den Eiern geerntet und in zahlreichen Stufen gereinigt, um Eiweiß-Rückstände zu beseitigen", erläutert Wiedermann-Schmidt. Eine neuere, aber weniger etablierte Methode ist, Viren auf Gewebekulturen zu vervielfältigen, etwa für Menschen mit Hühnerei-Allergien.

Ein Großteil der Impfungen beruht auf inaktivierten Viren, die keine Infektion auslösen, aber das Immunsystem auf den Plan rufen. Für Spalt-Impfungen werden die Erreger in kleine Teile zerhackt, für die häufigeren Subunit-Impfstoffe nur Oberflächen-Moleküle des Erregers verwendet. Diese Variante gilt als nebenwirkungsfrei, aber weniger immunogen.

Da das Grippevirus ständig mutiert, ist ein Abfall der Immunität nach Ende der Saison nicht problematisch, da das Vakzin gegen neue Stämme ohnehin nicht wirken würde. Diese starten auf der Südhalbkugel in Australien im Winter und bewegen sich über Asien nach Europa. "Die Entscheidung der WHO, welche vier Stämme für die Impfung der nächsten Saison verwendet werden, muss spätestens im Februar fallen und an die zuständigen Behörden gemeldet werden", erklärt die Vakzinologin. Ein weltweites Surveillance System beobachtet das ganze Jahr, welche Virenstämme in Richtung Nordhalbkugel zirkulieren. Für heuer wurden vom A-Stamm die Viren Hawaii/70/2019 (H1N1) und Hong Kong/45/2019 (H3N2) sowie vom B-Stamm Washington/02/2019 und Phuket/3073/2013 in den Hühnereiern vervielfältigt.

Keine Vorhersage

Es bleibt zu hoffen, dass der heurige Grippeimpfstoff gut schützen wird. Wenn sich das Virus nämlich auf seiner Reise von der Südhalbkugel hierher wieder verändert hat, schützt er schlecht. "Die Daten, die wir bis jetzt von den nachgewiesenen Viren haben, zeigen, dass diese durch die Nordhalbkugelinfluenzaimpfung abgedeckt werden würden. Was letztendlich im Jänner, Februar oder März in Österreich zirkulieren wird, kann man aber nicht vorhersagen", betonte die Immunologin Monika Redlberger-Fritz kürzlich in einem Interview.

Anzunehmen ist, dass das Tragen von Masken und Abstandhalten das Infektionsgeschehen nicht nur bei Covid-19, sondern auch bei der Grippe abmildern. Zumindest geschah dies im Juni, Juli und August in Australien, wo heuer eine ungewöhnlich unauffällige Grippesaison über die Bühne ging.