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Klotzen, nicht kleckern

Von Werner Stanzl

Gastkommentare
Werner Stanzl ist Publizist und Dokumentarfilmer.

Verdrängen Sie bei der Europawahl Ihren Ärger und konzentrieren Sie sich auf das, worum es wirklich gehen muss: ein Jahrhundert des Friedens.


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Am Sonntag ist Europawahl. Da können Sie mit Ihrer Stimme dem Frieden in Europa eine Chance geben. Verdrängen sie den Ärger mit der Krümmungstoleranz für Gurken. Die Malaise war übrigens nicht auf Brüsseler Mist gewachsen, sondern geht auf den Einfluss von Rewe und Spar zurück. Die Giganten der Nahversorgung wollten mit geraden Gurken im Fernverkehr quer durch Europa Pappkartons und Hohlräume und damit Kosten sparen. Nicht Brüssel hat Schuld, sondern der Egoismus der Nationalregierungen - in diesem Fall der deutschen.

Lassen Sie sich von solchen Auswüchsen um Gottes Willen bei ihrer Europawahl nicht beirren. Europa ist mehr als die Krümmungstoleranz von Gurken.

Und ärgern Sie sich nicht darüber, dass Europas Abgeordnete ständig auf Koffern sitzen, um neben Brüssel auch Straßburg als Tagungsort zu bedienen. Nicht die Abgeordneten sind schuld, wenn dafür sinnlos Steuermillionen zum Wohle von Air France verflogen werden, sondern die Borniertheit der Nationalregierungen - in diesem Fall der französischen.

Und vergessen Sie - wenigstens für den Wahltag - den Ärger mit den Flaschen, die die Karaffen mit dem Olivenöl in den Restaurants ersetzen sollten, um über vorgeschobene Hygieneargumente den Ölumsatz zu steigern. Die wahren Flaschen sitzen nicht in Brüssel, bei Europa geht es um mehr als um Flaschen.

Und schimpfen Sie nicht auf den Euro. Es wäre unfair. Er ist nicht der Sargnagel der europäischen Einigung, sondern der Titan, der die klapprigen Glieder Europas zusammenhält. Er stürzte nicht von selbst in die Krise, sondern weil griechische Minister gelogen und betrogen haben, Spanier und Portugiesen das Schuldenmachen nicht lassen konnten und irische Banker provisionsgierig hasardierten.

Monieren Sie nicht die Rettungsmanöver der Europäischen Zentralbank als Währungshüter und vergessen Sie - wenigstens am Tag der Europawahl - die Unverfrorenheit heimischer Politiker und Banker, die das Hypo-Alpe-Adria-Loch aufgerissen haben und uns jetzt mit fadenscheinigen Schuldzuweisungen frotzeln. Und verdrängen Sie zur Abwechslung einmal die Beständigkeit von Finanzminister Michael Spindelegger, mit der er uns sein patschertes Agieren in dieser Krise als Sanierung unterjubeln will. Europa ist mehr als bloß Geld.

Konzentrieren Sie sich stattdessen auf jene Kandidatin und jenen Kandidaten, die/der sich im Wahlkampf hinstellte und mit Fug und Recht sagen konnte: "Yes, we can. Wir können dieses Jahrhundert zum ersten in der geschriebenen Geschichte Europas machen, in dem es keinen Krieg gibt und geben wird. 14 Jahre haben wir schon erfolgreich hinter uns. Die nächsten 86 müssen und werden wir auch noch schaffen. Dem hat sich eine Gruppe Europakandidaten verschworen und ich bin einer davon. Geben Sie mir, geben Sie uns die Stimme, damit es am 31. Dezember 2099 für unsere Nachkommen etwas zu feiern gibt, was es in Europa noch nie zu feiern gab: 100 Jahre Frieden."

Also, weg mit Ihrem ganzen Brüssel-Frust. Nicht kleckern, sondern klotzen, wo es doch um so viel geht. Geben Sie dieser Kandidatin und diesem Kandidaten Ihre Stimme!

Ach, die/den gibt es gar nicht?

Tja, dann . . .