Mit gerechter Verteilung hat das Impfstoffdebakel der EU wenig zu tun.
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Die Europäische Union, allen voran EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen,
wird nicht müde, das von ihr zu verantwortende Corona-Impfdebakel ethisch zu rechtfertigen: Man dürfe armen Ländern den knappen Impfstoff nicht wegkaufen, das sei unsolidarisch und widerspreche jeder Verteilungsethik.
Aber ist das die ganze Geschichte? Nein, denn wenn auch das ethische Argument ehrlich gemeint sein mag, so verweist es nicht nur auf mangelnde Solidarität zwischen einzelnen Staaten. Es lässt vielmehr die Kurzsichtigkeit des primär an Sparsamkeit orientierten Wirtschaftens erkennen.
Worum geht es? Wohl kaum um eine gesamteuropäische Sozialpolitik. Diese Initiative der EU sollte bloß eine preistreibende Konkurrenz verhindern. Das Ziel der Verhandlungen lautete: minimale Kosten bei (gerade) ausreichender Versorgung mit Impfstoff - einer Versorgung, auf die wir bis heute warten und die viele das Leben kostet. Dabei kommt das Problem nicht unerwartet, ist doch diese Mangelsituation als schwer einschätzbar bekannt und daher nicht ohne entsprechende Reserven zu kalkulieren.
Mit Verteilungsethik hat das wenig zu tun. Es ist vielmehr zu bedenken, dass das Mangelgut Impfstoff biotechnisch entwickelt und in großem Stil hergestellt werden muss. Somit handelt es sich um ein Problem der Produktion und nicht bloß um eines der Verteilung. Dabei ist die Produktion schnellstmöglich auf ein weltweit relevantes Ausmaß zu steigern, zumal nur so die Pandemie in den Griff zu bekommen ist. Das aber geht allein mittels risikoreicher Investitionen, ob von privater, staatlicher oder überstaatlicher Seite wie der EU. Jedenfalls sind dabei vorauseilende Effizienzbestrebungen fehl am Platz. Hier ist Großzügigkeit im Einsatz der Mittel erforderlich - im Volksmund heißt das: "Klotzen statt Kleckern".
Wenn etwa Kanada dafür kritisiert wird, dass es die eigene Bevölkerung mit der frühzeitig im Übermaß bestellten Impfmenge fünffach gegen Sars-CoV-2 durchimpfen könnte, so ist diese Kritik gewiss nicht angebracht. Im Gegenteil, die Europäische Union hätte sich ein Beispiel an Kanada nehmen können, da derart groß dimensionierte Aufträge (und die damit verbundenen Garantien) eine wesentlich größere Planungssicherheit für den rechtzeitigen Ausbau von Produktionskapazitäten ermöglicht hätten. Im Gegensatz zu einem pedantischen Altruismus des Verteilens hilft solch ein produktionssteigerndes Vorgehen allen - und das selbst dann, wenn es egoistischen Motiven einzelner Staaten entstammen sollte.
Das aber bedeutet, dass die primäre ethische Leistung in Gestalt einer großzügig ausgestatteten Forschung sowie einer ausreichend dimensionierten Produktion zu erbringen ist. Dagegen ist eine gleiche Verteilung des unzureichend vorhandenen Corona-Impfstoffes zwar anzuerkennen, bietet aber keine Lösung der Probleme. Wird jedoch, wie derzeit in der EU, die Verteilungsgerechtigkeit als Entschuldigung für die insuffiziente Eigenleistung in der Impfstoffbeschaffung vorgeschoben,
so handelt es sich bloß um eine Verschleierung des eigenen politischen Versagens mit ethischen Mitteln.