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Knaller schaden mehr

Von Sandra Trauner und Simone Humml

Wissen

Ein andauernd hoher Geräuschpegel kann nach Ansicht des Gießener Gehörforschers Prof. Gerald Fleischer gut für die Ohren sein. Lärm sei auch dann nicht schädlich, wenn er sehr laut sei - wie beispielsweise in einer Disco, er schule das Gehör vielmehr. Schädlich hingegen seien plötzliche Knallgeräusche, berichtete Fleischer. Wie jedes andere Organ, so müsse auch das Gehör trainiert werden. Mit dieser These stößt er bei anderen Wissenschaftern jedoch auf heftige Kritik und Unverständnis.


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"Dass man durch Anpassung des Ohres Hörschäden verhindern kann, ist wissenschaftlich nicht abgesichert und völlig spekulativ", sagte Prof. Manfred Hülse vom Uniklinikum der Universität Heidelberg in Mannheim. "Jedes Organ bricht irgendwann einmal zusammen, wenn es ständig überfordert wird." Der Direktor der Klinik, Prof. Karl Hörmann, ergänzt: "Lärm über eine gewisse Dauer und Intensität führt ganz sicher zu einem Hörschaden. Es hängt allerdings vom einzelnen Menschen ab, wann er eintritt."

Untersuchungen in China

Fleischer leitet die Arbeitsgruppe Hörforschung am Klinikum der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Seine Erkenntnisse basieren auf Studien in China, bei denen sein Team im Vorjahr zwei Monate durch das Land reiste und die Hörfähigkeit von 1.150 Menschen erfasste. Das Ergebnis: Menschen in völlig stillen Gegenden hörten schlechter als in Ballungsräumen. Die wissenschaftliche Ergebnisse sollen erst im kommenden Jahr veröffentlich werden. Schon jetzt präsentierte jedoch ausgerechnet der Hörgerätehersteller-Verband Pro Akustik eine laienverständliche Zusammenfassung der Studie unter dem Titel "Das intelligente Ohr".

"In Gebieten, in denen es keinen Industrielärm gibt, ist das akute akustische Trauma weit verbreitet und der Anteil an Hörschäden sehr hoch", fasste Fleischer seine Studie zusammen. Die Menschen in ländlichen Gegenden zündeten traditionell laute Knallkörper zu bestimmten Festtagen. Dies sei besonders fatal, weil das Gehör dieser Menschen, die in völliger Stille leben, nicht trainiert sei. Die in Städten lebenden Chinesen hätten besser gehört und seltener Schäden gehabt. Fleischer: "Zu den am besten hörenden Chinesen gehörten die Piloten von lauten, uralten russischen Flugzeugen."

Experten-Kontroverse

Fleischer stehe völlig im Gegensatz zu dem, was Gehörforscher sonst sagen, betonte Wolfgang Babisch, Lärmexperte beim Umweltbundesamt in Berlin. Er verwies auf die Gefahr, die von dauerhaftem Arbeitslärm ausgeht: "Es ist sicher, dass Arbeitslärm, wenn man sich nicht durch Gehörschutz davor schützt, zu bleibenden Gehörschäden führt. Aus diesem Grund gibt es entsprechende Gesetze, die das Tragen von Gehörschutz vorschreiben." Häufiger Discobesuch über mehrere Jahre hinweg könne bei einem Geräuschpegel von mehr als 100 Dezibel ebenfalls zu Hörschäden führen. "Gewöhnliche Umgebungsgeräusche in der Stadt machen dagegen keine Gehörschäden."

"Es drängt sich die Vermutung auf, dass bei der Untersuchung gewisse Störfaktoren wie etwa andere Lärmquellen nicht ausreichend beachtet wurden", kritisiert Babisch. Es könne möglicherweise sein, dass Menschen in chinesischen Dörfern häufiger Knallkörper zündeten als in Städten. Fleischer gibt zu, dass der Brauch in Städten nicht üblich ist.

Das Hörsystem erkenne die Gefahr, die vom Dauerlärm ausgehe, und verringere seine Empfindlichkeit entsprechend, erklärte Fleischer dennoch. "Es ist Quatsch zu glauben, das Beste, was man für das Gehör tun kann, ist, es vor Schall zu schützen. Es behauptet ja auch niemand, das Beste, was man für den Bewegungsapparat tun kann, ist am Schreibisch zu sitzen." Daher sei ein Discobesuch nicht schädlich, so lange man nicht direkt vor den Boxen stehe. "Die Disco ist ein gutes Training."

Bei einem plötzlichen Knall hingegen könne das Gehör nicht mehr reagieren, es entstünden bleibende Schäden. "Die Gefahr, die vom Knall ausgeht, wird unterschätzt." Nicht nur Feuerwerkskörper, auch der Klang beim Ausbeulen eines Kotflügels oder Hammerschläge seien gefährlich. Der Gehörschutz habe jahrzehntelang "den falschen Baum angebellt". In den vergangenen Jahren hatte er noch vor Hörschäden durch Lärm am Fließband oder Musik im Zimmer gewarnt.