Sechs EU-Staaten wollen nicht länger Lebensmittel für Arme finanzieren.
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Brüssel/Wien. Im Schatten der Schuldenkrise tobt in Brüssel ein Kampf ums tägliche Brot: Bisher hat die EU jährlich 500 Millionen Euro an Lebensmittelhilfe für arme Menschen in Europa ausgegeben. Das Nahrungshilfeprogramm wurde aus dem EU-Agrarhaushalt finanziert und erreichte im Vorjahr etwa 18 Millionen Bedürftige. Zum Leidwesen dieser und vieler wohltätiger Organisationen, die die Lebensmittel verteilen, könnte dieser Betrag ab 2012 auf 113 Millionen Euro schrumpfen. Der Grund: Deutschland blockiert zusammen mit Großbritannien, Dänemark, Schweden, den Niederlanden und Tschechien die Vorschläge der EU-Kommission, die die Fortsetzung der Hilfen bis 2013 regeln sollten.
Das Hauptargument der Gegner: Das Programm wurde 1987 ins Leben gerufen, um Lebensmittelüberschüsse wie Butter, Mehl oder Zucker sinnvoll zu verwerten. Da es heute jedoch kaum Überproduktion gibt, müssen die Lebensmittel mit EU-Geld teuer zu Marktpreisen zugekauft werden. "Das ist keine Agrarpolitik mehr, sondern Sozialpolitik", argumentiert das deutsche Landwirtschaftsministerium. Und dafür seien die nationalen Staaten selbst zuständig. Rückendeckung bekam die Bundesrepublik bereits im April vom Europäischen Gerichtshof: Auf eine Beschwerde Berlins hin urteilte dieser, dass die Nahrungsmittel für das Programm nur aus überschüssigen Lagerbeständen kommen dürfen. Zukäufe seien nur in Notfällen zulässig.
Allein aus Überschüssen könnten derzeit jedoch nur Hilfen im Wert von 113 Millionen Euro verteilt werden. Dass die Lagerbestände in den vergangenen Jahren deutlich kleiner geworden sind, liege an den Reformen der letzten Jahre, sagte ein EU-Diplomat. Sie hätten das Problem der Subventionen in der Agrarpolitik angepackt - die Produktion orientiere sich nun stärker an der Nachfrage.
Österreich hilft sich selbst
Die größten Nutznießer der EU-Lebensmittelhilfe waren bisher Frankreich, Spanien, Italien und Polen. Sie erhielten zusammen rund 70 Prozent der Mittel. Vor allem die französischen Lebensmittelerzeuger würden immens profitieren, argumentieren die Blockierer. Und man sei nicht bereit, diese "versteckten Subventionen" mitzutragen.
Die Teilnahme am Programm ist freiwillig - 2012 wollen 20 EU-Länder mitmachen. "Deutschland und Österreich haben sich bisher nicht daran beteiligt und haben auch nicht davon profitiert", sagt Gerd Häuser von der Hilfsorganisation "Deutsche Tafeln". Für armutsgefährdete Menschen gebe es private Lebensmittel-Initiativen, die erfolgreich funktionieren. Außerdem übernehme der Sozialstaat die Daseinsvorsorge.
Brüssel will solche Einwände vorerst nicht gelten lassen: "Es ist ein Ausdruck von purem Egoismus in einer Europäischen Union, in der wir mehr als je zuvor Solidarität brauchen", sagte EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos am Freitag. Solidarität sollte nicht nur den Banken entgegengebracht werden, sondern auch den Menschen, die unter der Wirtschaftskrise leiden.