Wer wird der neue Stadtchef? Bei einer Matinee demonstrierten rund 500 Genossen Partei-Harmonie.
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Wien. Michael Häupls Tage sind gezählt. Am 27. Jänner wird beim SPÖ-Landesparteitag der neue Landesparteichef gekürt. Und dieser wird dann ein paar Monate später auch den Bürgermeistersessel übernehmen. Ob es nun aber eher Michael Ludwig wird oder Andreas Schieder, das können derzeit nicht einmal hochrangige Funktionäre in der Partei einschätzen. Ein Umstand, der auf die Verschlossenheit der parteiinternen Fraktionen zurückzuführen sein könnte. "Es ist im Vergleich zu den vergangenen zehn Monaten momentan ganz untypisch ruhig in der Partei", heißt es. Und auch an der Basis herrscht stille Zurückhaltung: "Viele versuchen sich derzeit hinsichtlich ihrer Präferenzen bedeckt zu halten. Auch wenn von den rund 850 Delegierten sicherlich schon jeder weiß, wen er wählt. Deswegen ist es auch schwer abzuschätzen, wer das Rennen machen wird."
Brodeln unter der Oberfläche
Bei der Matinee "150 Jahre Arbeiterbildungsbewegung" am Freitag im Stadtsaal auf der Mariahilfer Straße ergab sich ein ähnliches Bild. Rund 500 Genossen lauschten den Reden u. a. von Heinz Fischer, Christian Kern, Michael Häupl und Michael Ludwig. Auch Andreas Schieder wohnte der Veranstaltung bei - und die Stimmung wurde als "sehr harmonisch" bezeichnet, zumindest oberflächlich. "Es ist schon sehr angenehm, wenn wieder jeder nett zum anderen ist und man sich entspannt unterhalten kann", erklärte ein Teilnehmer im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Auch wenn unter der Oberfläche ein Brodeln zu spüren ist."
Das Interesse an der Veranstaltung war auf jeden Fall groß, gab es doch um 100 Anmeldungen zu viel, sodass etwa 80 Personen in der angrenzenden Bezirksorganisation Neubau untergebracht wurden, wo sie das Geschehen per Live-Stream mitverfolgen konnten.
Zwar wurde das Event als Heimspiel für SPÖ-Bundesbildungsvorsitzenden Michael Ludwig gewertet, dennoch sprechen einige Insider von einer Aufholjagd von Schieder in den vergangenen Wochen. Einig sind sich jedenfalls alle darüber, dass die Wahl knapp ausgehen könnte.
Ludwig dürfte dem Vernehmen nach vor kurzem bei den Delegierten als "Stand-alone-Kandidat" noch bei rund 70 Prozent gelegen sein. Das scheint sich aber nach dem Einstieg von Schieder in das Rennen schnell geändert zu haben. Die erste Bewegung in so einem Spiel ist logischerweise immer eine Annäherung. Es bedeutet aber auch, dass sich Ludwig rein mathematisch gesehen derzeit in einem Abwärtstrend befindet. Also so gesehen nichts Verwunderliches, aber doch psychologisch gesehen Wirksames. Zwar haben sich vielleicht die meisten Delegierten bereits für ihren Favoriten entschieden. Macht aber einer der Kandidaten einen Fehler, kann sich das Blatt schnell wenden.
Startvorteil eingebüßt
Ebenso können Deklarationen von "Elder Statesmen" oder hohen amtierenden Mandataren, wie etwa Christian Kern oder Michael Häupl, noch Einfluss auf den Wahlausgang im Jänner nehmen. Oder wenn sich ganze Bezirksorganisationen hinter einen der Kandidaten stellen. Außerdem bleibt abzuwarten, ob einer der beiden Kandidaten noch eine Überraschung aus dem Hut zaubert - also entweder eine besondere inhaltliche Ansage, eine Ansage die anstehende Parteireform betreffend oder aber auch die Teamzusammensetzung.
Manche Genossen, die offenbar eigene Listen führen, sind ja schon jetzt der Meinung, dass Michael Ludwig bereits seinen Startvorteil eingebüßt hat und gegenüber Andreas Schieder mittlerweile sogar ins Hintertreffen geraten ist.
Ein die Partei einender Kandidat muss auf jeden Fall nach der Wahl den anderen ins Team nehmen und die Machtpositionen gleichmäßig auf den rechten und den linken Parteiflügel verteilen. Schließlich ist ja zurzeit die Macht mit nur einem Vertreter des sogenannten rechten Lagers in der Stadtregierung ungleich verteilt, was auch den schon lange schwelenden Konflikt innerhalb der Partei erklärt.
Kaum Unterschiede
In der Realpolitik unterscheiden sich die beiden Kandidaten kaum voneinander: Beide entwickeln aus der Analyse der Gesellschaft heraus Lösungen, wobei die Analyse dieselbe ist. Beide haben das gleiche Menschenbild. Nur die Strategien sind unterschiedliche. Stark vereinfacht dargestellt, will der rechte Flügel Wahlen damit gewinnen, indem er sich jener Partei annähert, die ihm die meisten Stimmen weggenommen hat. Und der linke Flügel ist der Meinung, dass man genau dieser Partei etwas entgegensetzen muss. An den Kandidaten liegt es nun zu überzeugen, welches dieser Konzepte für die Wiener SPÖ zukunftstauglicher ist.