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Knast, wo ist dein Schrecken?

Von Werner Stanzl

Gastkommentare
Werner Stanzl ist Publizist und Dokumentarfilmer.

Immer mehr japanische Rentner drängen nach einem Gefängnisplatz, um zu überleben - und malen so ein Zukunftsbild auch unserer Gesellschaft.


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Japan verzeichnet eine erstaunliche Trendwende. Die Zahl der Straftäter über 65 Jahre hat sich mit 51.000 nahezu verfünffacht. Gerichtsverfahren zeigen: Die Alten sind auf der Flucht vor der eisigen Kälte der Straße. Ihre Alterspension reicht längst nicht für eine warme Mahlzeit, für Pflege, Hygiene, Krankenfürsorge. All das bietet der Knast. Zwar steuern die Berufsrichter mit auffälliger Milde dagegen. So blieb es zuletzt bei Bankräubern im Seniorenalter bloß bei einer Strafandrohung, weshalb so mancher Tattergreis sich eines Gewaltverbrechens bedient, um einen Dauerplatz im Kittchen zu ergattern.

Vielleicht sollte man auch hierzulande Haftanstalten vergrößern, statt die Richtfeste immer neuer Seniorenheime zu feiern, die sich in der näheren Zukunft keiner leisten kann - auch nicht der zur Minderheit schrumpfende Teil der Gesellschaft, die Werktätigen. Factum est: Auf Hungerlohn folgt Altersarmut. Wenn also die Supermarktverkäuferinnen, Hilfsarbeiter und Langzeitarbeitslosen demnächst mit 400 bis 600 Euro zu ihrem letzten Lebensabschnitt antreten, wird es eiskalt um sie werden. Auch sie könnten dann eine warme Bleibe hinter Gittern einer wertlos gewordenen Freiheit vorziehen.

Denn bei näherer Betrachtung entpuppt sich der Knast als Schlaraffenland für Senioren. Ihr Zimmer wäre einbruchssicher, spazieren könnten sie in einem gesicherten Hof, ständig überwacht von Videokameras und Personal. Bei einem etwaigen Sturz wäre sofort Hilfe da. Beim Duschen könnten sie reichlich Warmwasser fließen lassen, ohne vor der nächsten Rechnung vom E-Werk zittern zu müssen.

Ihre Hobbys würden gefördert, bei Krankheit würden sie kostenlos mit Medikamenten versorgt - ohne Rezeptgebühr. Sogar der Zahnarzt käme ins Haus!

Nur nach einem Spießrutenlauf bekommt man "heraußen" eine Prothese oder gar einen Rollstuhl. Im Knast genügt ein Wink, und ein mehrköpfiges Direktorium kümmert sich darum. Für die Verrichtung leichter Arbeiten gäbe es Taschengeld. Zu den kulturellen Einrichtungen gehörten kostenloser Zugang zur Anstaltsbibliothek, Fitnessraum und Bildungsangebote bis hin zum Universitätsabschluss. Ein kostenfreier Zugang zu einem PC wäre garantiert, für dessen professionelle Wartung wäre gesorgt. Auf Zuruf würden Parlamentarier, Amnesty International und das Internationale Rote Kreuz dafür sorgen, dass ungerechtfertigte Beschneidungen all dieser Ansprüche geahndet werden.

Also könnte es in knapp zwei Dezennien für meine Nichte ein gepflegtes Tête-à-tête mit dem Billa-Filialleiter geben, den sie unlängst lobend erwähnte - im Grauen Haus.

Nun gehört ja humaner Strafvollzug neben Mozartkugel und Schnitzel zu den wirklich erwähnenswerten Errungenschaften dieser Republik. Was aber, wenn durch den Seniorenzuzug der Knast seinen Schrecken verliert, er salonfähig wird? Wie muss sich das ganz zwangsläufig auf das Verhalten der herkömmlichen Kriminellen auswirken? Vielleicht kann uns irgendein Berufener an dieser Stelle eine Antwort geben.