Ein Kommentar zu überflüssigen Grenzhinweisen mit stereotypen Vorurteilen.
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In jüngster Zeit wird Flüchtlingen mittels Verhaltenskodex eingebläut, was die Willkommensschilder an Grenzübergängen und Bahnhöfen tatsächlich bedeuten. Bei den Benimmregeln, die nunmehr für Zuwanderer erstellt werden, fällt auf, dass sie sich vorwiegend an muslimische Flüchtlinge richten. Dabei wird von vornherein angenommen, dass Menschen muslimischen Glaubens sich grundsätzlich nicht so zu benehmen wissen, wie es hierzulande erwünscht ist. Freudig greifen Medien das Thema auf, bis hin zu jenen, die sich gerne als unabhängige Qualitätsblätter sehen und sonst linksliberal gebärden.
Besonders überflüssig ist der Hinweis an die Neuankommenden, dass sie sich an die hierorts geltenden Gesetze zu halten haben - als ob das nicht überall auf der Welt eine Forderung des Staates an seine Bürger und Bürgerinnen wäre. Zudem sind die Geflohenen und Vertriebenen sozialisiert in Diktaturen und wissen genau, was ihnen droht, wenn sie Anordnungen zuwiderhandeln.
Umgang mit Frauen und Frauenrechte
Eines der großen Anliegen derjenigen, die die Flüchtlinge Mores lehren wollen: Frauen. Wie sie zu behandeln sind, dass man sie respektieren und als gleichberechtigt betrachten muss und dass man sie nicht belästigen und nicht ihre Telefonnummern und Facebookdaten erfragen darf. Schwingt da Eifersucht mit? Das Erstaunliche ist nämlich: Die Frauenverteidigung haben vor allem Männer übernommen. Und noch erstaunlicher: Es sind FPÖ-Funktionäre, populistische Politiker, rechts-konservative Meinungsmacher, vor allem Personen also, die bisher gar nicht damit aufgefallen sind, sich für Frauenrechte starkzumachen.
Zu den üblichen stereotypen Beschuldigungen gegenüber den Angehörigen des Islam ist in den Hausordnungen und Leitfäden eine neue hinzugekommen: der Vorwurf des Schmutzes. In keinem Katalog fehlen Hinweise zur Müllentsorgung und Toilettenbenutzung. Unsauberkeit und Unordnung sind aber eine Frage der Umstände und nicht der Nationalität oder Religion. Leider mangelt es in den in aller Eile errichteten Notunterkünften da und dort an Einrichtungen im Sanitärbereich - wobei die Bemühungen um rasche Abhilfe durch Regierungs-, Nicht-Regierungs- und zivilgesellschaftliche Initiativen bewundernswert sind.
Aus islamischer Sicht sind unsere Toiletten unhygienisch
Wenn zu viele Menschen auf zu wenig Raum zu lange in unsicherer Warteposition ausharren müssen, verbreiten sich Zank und Hader, Dreck und Viren. Diesen ewigen Begleitern von Katastrophen, die auf infrastrukturelle und organisatorische Mängel zurückzuführen sind, wird mit beleidigenden Maßregelungen der Opfer nicht beizukommen sein. Genau darin ist das eigentliche schlechte Benehmen zu sehen: diejenigen, die als fremd wahrgenommen werden, die Familienangehörige und Freunde verloren haben, die oft nichts als das nackte Leben retten konnten, auch noch als schmutzig zu diffamieren. Tatsächlich wären Leitfäden und Broschüren gegen solche Einstellungen und Äußerungen längst überfällig.
Aus Sicht vieler Muslime und Musliminnen aus allen Teilen der Welt sind übrigens mitteleuropäische Toiletten unhygienisch, denn es gibt häufig kein Wasser, wohingegen sie sich sofort mit sauberem Wasser zu reinigen pflegen. Deswegen sind die Sanitärbereiche in Ländern mit vorwiegend islamischer Bevölkerung im Allgemeinen technisch und formal anders ausgeführt als hierorts üblich. Die Bedienung kulturell unterschiedlicher Systeme muss man erst erlernen, der Gebrauch ist gewöhnungsbedürftig. Wenn ein europäischer Touristenbus eine syrische Toilette stürmt, ist sie nachher garantiert unbenützbar. Dafür sind Bedienungsanleitungen direkt am stillen Örtchen sinnvoll, nicht jedoch als Willkommensgruß in Syrien oder anderswo.
Zum Thema fehlende Reinlichkeit bleibt dessen Universalität festzuhalten: Immer schon sah man Männer in Blumenbeeten und Hauseingängen ihre Stoffwechselendprodukte entsorgen, auch als man für solches Tun noch nicht Flüchtlinge verantwortlich machen konnte, weil es wenig Zuwanderung gab. Öffentliches Männerpinkeln soll auch bei den sich virusartig verbreitenden Oktoberfesten gang und gäbe sein, ebenso nach Fußballspielen, beim samstäglichen Party-Machen und beim urlaubsbedingten Über-die-Stränge-Schlagen.
Mitspracherecht für Menschen, die man gastlich aufnimmt
Die Forderung, muslimischen Einwanderern gegenüber klarzustellen, dass wir hier im Westen sind und sie sich "unserer Kultur" anzupassen haben, spricht den vielen Willkommensschildern auf den Bahnhöfen Hohn. Denn von Menschen, die man gastlich aufnimmt, kann man nicht einfach verlangen, dass sie sich bedingungslos anpassen, sondern man muss sie auch teilhaben lassen an Ereignissen und Diskursen und ihnen selbstverständlich ein Mitspracherecht darüber einräumen, was "unsere Kultur" sein soll.
Eine Einteilung der Bevölkerung in "wir" und "sie" - in solche, die dazugehören und solche, die nur geduldet werden - ist unmenschlich. Damit zeigt man den Neuzugewanderten nur, dass sie anders, fremd und nämlich genau nicht willkommen sind. Und dann werden sie sich abschotten und nur untereinander verkehren. Und das wird man ihnen dann auch wieder vorwerfen.
Zur Autorin: Ingrid Thurner ist Ethnologin, Publizistin und Mitglied der Initiative Teilnehmende Medienbeobachtung (www.univie.ac.at/tmb) am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien.