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Knigge für Stadtbewohner

Von Thomas Seifert

Leitartikel
Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur der "Wiener Zeitung".
© WZ

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Das Leben in Städten kann so schön sein: Die urbane Anonymität garantiert Freiheiten, die man in einer kleinen, überschaubaren Dorfgemeinschaft nicht hat. Das bunte und quirlige Treiben einer Großstadt liefert Inspiration, und der Vibe des Großstadtdschungels bringt Energie. Eine lebendige Stadt braucht Freiräume, in denen sich Menschen nach ihrer Fasson entfalten können.

Gleichzeitig prallen in einer Stadt ständig Interessen aufeinander: Autofahrer gegen Radfahrer, Radfahrer gegen Fußgänger, feierwütiges Jungvolk gegen ruhebedürftige Jungeltern.

Die Multi-Kulti-Realität europäischer und amerikanischer Städte bringt weitere Herausforderungen mit sich: Eine bunte Gesellschaft braucht ein gerütteltes Mass an Toleranz, aber gleichzeitig für alle verbindliche Regeln. Es braucht einen Knigge für den möglichst rücksichtsvollen Umgang der Stadtbewohner miteinander.

Die Wiener Linien weisen nun mit Hinweisschildern in der U6 darauf hin, dass das Essen warmer und geruchsintensiver Speisen und der Konsum von Alkohol künftig verboten werden sollen. Dabei handelt es sich um eine vernünftige Maßnahme, die nicht nur auf die U6 beschränkt bleiben sollte. Eine U-Bahn-Garnitur ist schließlich kein Fast-Food-Restaurant - eine Straßenbahn oder ein Bus übrigens auch nicht. Es werden weitere Maßnahmen in den öffentlichen Verkehrsmitteln notwendig sein, um ein möglichst angenehmes Klima für die Passagiere zu schaffen.

Es gab immer wieder Versuche, bestimmte Personengruppen zu mehr Rücksichtnahme zu bewegen: Der sonst recht wortgewaltige und resolute Bürgermeister Helmut Zilk hat es bis zum Ende seiner Amtszeit nicht geschafft, das Hundstrümmerl-Problem in Wien zu lösen. Und heute? Das Gackerl kommt ins Sackerl.

In ein paar Jahren wird es als unschicklich gelten, Sitznachbarn in Öffis mit dem Geruch der im Waggon verzehrten Speisen zu belästigen und ganz nebenbei auch noch die Sitzbank zu beschmutzen.

Gleichzeitig braucht eine Metropole wie Wien ein neues Toleranzverständnis: Die Stadt ist heute deutlich jünger als vor 20, 25 Jahren. Die Stadt ist durch diese demografische Wende dynamischer, spannender und flippiger geworden - aber auch lauter. Wer schon um 22 Uhr die Polizei holt, damit diese wegen Lärmbelästigung einschreitet, dem wird man einen Umzug in die Gemeinde Gramais in Tirol (45 Einwohner) nahelegen. Dort ist es, so hört man, lauschig und ruhig.

Es wird also darum gehen, dass Kommunalpolitik, Behörden und Gemeindedienstleister das richtige Verhältnis zwischen Freiheit und Regeln finden. Für die Stadtbewohner wiederum empfehlen sich Höflichkeit und rücksichtsvolles Miteinander. Und manchmal hilft auch ein Lächeln.