Es kommt ein 3,7 Kilometer langer "Zaun light" mit Option auf Erweiterung innerhalb von 48 Stunden.
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Wien/Ljubljana. Was hat die Innenministerin schlussendlich davon überzeugt, doch keinen 25 Kilometer langen Zaun an der Grenze zu Slowenien zu errichten? War es die Bitte Ljubljanas, wie Innenministerin Johanna Mikl-Leitner behauptet - und was Slowenien noch am Freitagabend dementierte? Lag es daran, dass sie die Streitigkeiten mit dem Regierungspartner satthatte? Zwar hätte sie das Projekt auch im Alleingang durchsetzen können - für den Fortbestand der Koalition wäre das allerdings kein gutes Zeichen gewesen.
Sicher ist: Der Zaunstreit der Koalition ist beendet. Gemeinsam präsentierten SPÖ und ÖVP am Freitag ihr neues Konzept für den überlasteten Grenzübergang Spielfeld. Die Innenminsterin bekommt zwar ihren Zaun, allerdings nur einen kurzen: 3,7 Kilometer sollen es sein, von Spielfeld bis nach Graßnitzberg. Ursprünglich wollte Mikl-Leitner eine Absperrung von 25 Kilometern Länge. Ljubljana, so die Behauptung der Innenministerin, habe darum gebeten, davon abzusehen und versprochen, mit einem Sicherheitskorridor auf slowenischer Seite sowie durch verstärkte Kontrollen an der grünen Grenze zu versuchen, die Kontrolle auch bei großem Andrang zu bewahren. Gelinge dies nicht, werde Österreich doch noch die 25 Kilometer lange Version errichten - ganz ohne weitere politische Gespräche. Dieser "Plan B" wäre binnen 48 Stunden umsetzbar.
Kritik an "rechter Angstpolitik"
Stacheldraht ist derzeit nicht geplant, errichtet wird ein zwei Meter hoher sogenannter G7-Zaun aus Maschendraht. Sollten hunderte Flüchtlinge versuchen, den Zaun zu stürmen, könnte immer noch Stacheldraht ausgerollt werden, so der Generalsekretär für die öffentliche Sicherheit, Konrad Kogler. Bis der Zaun steht, könnten Wochen oder gar Monate vergehen. Kaut Kanzleramtsminister Josef Ostermayer wird er 1,2 bis zwei Millionen Euro kosten, außerdem müsse man noch Gespräche mit 18 betroffenen Eigentümern führen, die über 71 Grundstücke an der Grenze verfügen.
Die roten Ressortchefs bemühten sich darauf hinzuweisen, dass es nicht zu einer "Orbanisierung" Österreichs kommen werde. Für Verteidigungsminister Gerald Klug handelt es sich ohnehin nicht um einen Zaun: "Das ist ein geordnetes Leitsystem." Entscheidend sei die Reform am Grenzübergang, wo man infrastrukturell aufrüsten wolle.
Der Schwenk der Innenministerin kommt plötzlich. Aus SPÖ-Kreisen heißt es, das habe auch mit ÖVP-Chef und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner zu tun, der kein großer Fan von Zäunen sei. Schließlich schadeten sie Wirtschaft und Tourismus. In der Zaun-Debatte habe man versucht eine Variante zu finden, bei der beide Koalitionspartner ihr Gesicht bewahrten können. Die 3,7-Kilometer-Version sei auch für die SPÖ tragbar.
Bei allen anderen Parteien erntet der Plan Kritik: FPÖ und Team Stonach geht das Vorhaben nicht weit genug, Neos und Grüne sind sowieso dagegen. Für FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache handelt sich um eine "endgültige Bankrotterklärung" der Regierung. Und Team-Stronach-Klubobmann Robert Lugar vermisst ein Konzept dazu, was geschehen soll, "wenn Deutschland seine Grenzen in den nächsten Tagen endgültig dichtmacht". Grünen-Bundessprecherin Eva Glawischnig kritisierte, dass gestritten werde, anstatt sich um Quartiere und Weitertransport der Menschen zu kümmern. Und die Grüne Europaabgeordnete und Vizepräsidentin des EU-Parlaments Ulrike Lunacek warnte: "Die Durchsetzung dieser rechtspopulistischen Symbolpolitik bedroht das Europäische Projekt und konterkariert alle Bemühungen um eine gemeinsame Flüchtlingspolitik."
Auch die Neos glauben nicht, dass Zäune Probleme lösen. Stattdessen fordert Neos-Menschenrechtssprecher Nikolaus Scherak eine Sicherung der europäischen Außengrenzen und legale Einreisemöglichkeiten. Kritik kam aber auch von innerhalb der Koalitionsparteien. Julia Herr, Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, sieht im Zaun eine "Manifestation rassistischer Politik" und einen "Schlag gegen die Menschlichkeit, egal wie kurz und unnötig er ist". Die SPÖ müsse "der rechten Angstpolitik eine linke Politik der Menschlichkeit und Solidarität" entgegensetzen.
Ungarns Zaun "nicht rechtens"
Auch für Melita Sunjic vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR ist klar, dass weder Grenzsperren noch Zäune die Menschen davon abhalten werden, Sicherheit in Europa zu suchen. "Es gibt nur eine politische Lösung", so Sunjic am Freitag im Gespräch mit Journalisten. "Die Menschen kommen nicht, weil der Grenzübergang in Österreich so schön ist." Die Symbolwirkung von Grenzzäunen richte sich nach innen, also an die eigene Bevölkerung. In den Herkunftsländern der Flüchtlinge sei der Effekt gering. Zudem müsse man Schutzsuchende nach geltendem Recht ins Land lassen. Was Ungarn macht, sei "nicht rechtens", Klagen liefen bereits.
Nicht nachvollziehbar sei die mangelnde Hilfe bei der Versorgung der rund vier Millionen Flüchtlinge in der Türkei, im Libanon und in Jordanien. Dafür hat das UNHCR jährlich 2,5 Milliarden Dollar (2,33 Milliarden Euro) veranschlagt - aber bisher nur 40 Prozent davon erhalten. Im September lag Österreich bei Zahlungen an die internationale Flüchtlingshilfe auf Rang 42 von 116 - hinter Ländern wie Tschechien, Irland oder Korea. Es ist also kein Wunder, wenn sich viele Menschen aus den großen Lagern auf den Weg Richtung EU machen. Dabei, so Sunjic, sei es deutlich billiger, die Menschen, von denen viele in der Region bleiben wollten, auch dort zu versorgen.
Immer mehr Kinder unterwegs
"Ich sehe eine unglaubliche Kurzsichtigkeit der Politik - zeitlich und geografisch" sagte Sunjic, "man glaubt, wenn man die Augen zumacht, dann zieht es vorbei". Das UNHCR warne seit Juli davor, dass der Winter kommt - und jetzt sei man überrascht, dass es kalt wird und man vor entsprechenden Herausforderungen stehe. In Österreich könnte eine Lücke von 20.000 bis 30.000 Unterkünften entstehen. Bereits heute landeten Menschen, die eigentlich in Österreich bleiben wollen, in Notquartieren für Transitflüchtlinge, die eigentlich nicht für einen längeren Aufenthalt geeignet seien.
Auch das UNHCR fürchtet sich vor dem Szenario, dass eines der betroffenen Länder die Grenzen dichtmacht. Dies würde zu einem Stau in einem oder mehreren der Staaten entlang der Balkanroute führen. Als Ungarn seine Grenzen zu Serbien und Kroatien dicht machte habe man miterlebt, was für gefährliche Umstände innerhalb kürzester Zeit entstehen. Sunjic hatte die Lage im serbischen Berkasovo damals als "Vorhof zur Hölle" bezeichnet. Heute werden dort alle Flüchtlinge registriert. Laut eigenen Angaben handelt es sich zu 53 Prozent um Syrer, 30 Prozent sind aus Afghanistan, 10 Prozent aus dem Irak.
Sunjic sieht eine dramatische Veränderung in der Zusammensetzung der Flüchtlinge: Waren es am Anfang vor allem junge Männer, so kamen im Oktober 40 Prozent Kinder, im September waren es noch 27 Prozent gewesen. Es seien teilweise drei Generationen einer Familie unterwegs.