ÖVP und Grüne zeigen bei der Ausländerpolitik kaum Gemeinsamkeiten, Volkspartei und SPÖ stehen sich etwas näher.
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Demonstrativ betonten sie ihre Unterschiede, hart griffen sie einander an: Beim Migrations- und Integrationsthema schenkten sich ÖVP und Grüne bisher nichts. Sebastian Kurz rede hier schon "eher wie der Kickl", kritisierte Grünen-Chef Werner Kogler bei einem TV-Duell während des Wahlkampfes. "Ich sehe bei dem Thema keine Annäherung, weil ich werde meine Meinung da nicht ändern", beharrte daraufhin Kurz.
Wie festgefahren die Positionen tatsächlich sind, wird sich nun zeigen. Noch stehen sich Türkis und Grün in der Migrations- und Integrationspolitik diametral gegenüber, zumindest ein Stück aber werden sie sich annähern müssen, sollten sie koalieren wollen. Es wird kein leichtes Unterfangen, liegen zwischen den beiden Parteien neben inhaltlichen doch auch atmosphärische Hürden.
Einen Stolperstein stellt die Sozialhilfe neu dar. Sie löste unter Türkis-Blau die bisherige Mindestsicherung ab. Mit 1. Juni trat das Grundsatzgesetz in Kraft, bis Jahresende müssen die Länder entsprechende Ausführungsgesetze erlassen. Staffelungen pro Kind bringen Einschnitte für kinderreiche Familien mit sich. Außerdem werden Zuwanderern mit schlechten Deutschkenntnissen Leistungen gekürzt.
Die Bewertung des Gesetzes könnte unterschiedlicher nicht sein. Die Reform habe das Sozialsystem gerechter gemacht, meint Kurz. Er will weitere Verschärfungen. Der potenzielle Missbrauch von Sozialleistungen durch Zuwanderer müsse verhindert werden, erklärt er. Bei 130.000 Kindern gehe die Familienbeihilfe derzeit ins Ausland: "Für uns ist schwer festzustellen, ob es diese Kinder überhaupt gibt", sagt Kurz.
Die Wiener Vizebürgermeisterin Birgit Hebein spricht hingegen von einem "Armutsförderungsgesetz". Türkis-Blau bescheinigte die grüne Spitzenpolitikerin "demokratiepolitische Unterentwicklung und sozialpolitische Ahnungslosigkeit". Ob die Rücknahme der türkis-blauen Mindestsicherungsreform nun eine Koalitionsbedingung sei, wollte Hebein unmittelbar nach der Wahl aber nicht verraten: "Jetzt ist der falsche Zeitpunkt, rote Linien zu definieren."
Seenotrettungund Verteilung
Verhärtet sind die Positionen in der Asylpolitik. Das zeigt sich bei der Rettung von Bootsflüchtlingen im Mittelmeer. Kurz kritisiert die privaten Seenotretter scharf und vergleicht sie mit Schleppern. Das kommt insbesondere bei der grünen Basis, bei der die Hilfsaktionen auf Zuspruch stoßen, gar nicht gut an.
Uneins sind sich ÖVP und Grüne bisher bei der Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen und Migranten. Während die ÖVP die Zahl der Asylanträge so niedrig wie möglich halten möchte, erklären die Grünen, dass Österreich im Sinne der Solidarität einen Beitrag leisten sollte. Kogler pocht auf eine Zusammenarbeit der EU-Staaten: Gemeinsam müsse man die Außengrenzen kontrollieren, Bootsflüchtlinge sollen in der EU verteilt werden. Auch soll Österreich an den Resettlement-Programmen des UNO-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR teilnehmen.
Die ÖVP will davon nichts wissen. Sie fordert, dass Menschen nach ihrer Seenotrettung schnellstmöglich in ihre Herkunftsländer oder sichere Drittstaaten zurückgebracht werden. "Eine Rettung aus dem Mittelmeer darf nicht ein Ticket nach Mitteleuropa bedeuten", sagt Kurz. Einen EU-Verteilungsmechanismus und die Teilnahme an Resettlement-Programmen lehnt er ab. Österreich habe in den vergangenen Jahren bereits zahlreiche Flüchtlinge aufgenommen.
Unterschiede beherrschen auch die Debatte um die Arbeitsmöglichkeiten für Asylwerber. Türkis-Blau schloss im September 2018 die Möglichkeit für Asylwerber, eine Lehre in einem Mangelberuf zu machen, sie können praktisch nur mehr saisonal im Gastgewerbe oder der Landwirtschaft beschäftigt werden. Die Grünen wollen, dass Asylwerber wieder den Zugang in die Lehre nach sechs Monaten Aufenthalt erhalten. Die Volkspartei sträubt sich dagegen.
Lehre undKopftuchverbot
Eine Annäherung zeigt sich bei den Asylwerbern, die vor dem Erlass eine Lehre begonnen haben. Ihnen droht die Abschiebung, potenziell sind rund 900 Menschen betroffen. Die Grünen fordern ein Aufenthaltsrecht für diese Personen, die ÖVP hat ihre Position leicht aufgeweicht. Kurz will eine "pragmatische Lösung": Die Betroffenen sollen bei einem negativen Bescheid ihre Lehre beenden können und erst danach abgeschoben werden.
Schwieriger wird ein Entgegenkommen beim Kopftuchverbot. Bisher gilt es in Kindergärten und Volksschulen. Die ÖVP will es für Kinder bis 14 Jahren und auf Lehrerinnen an Schulen ausweiten. Die Grünen haben sich zu derartigen Verboten bisher kritisch geäußert.
Einfacher könnten sich für die ÖVP Verhandlungen mit der SPÖ gestalten. Zwar gibt es auch bei den Sozialdemokraten Vorbehalte gegen Teile der ÖVP-Positionen: So wird die Mindestsicherung neu und die Ausweitung des Kopftuchverbotes abgelehnt, ebenso fordert Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner eine Flüchtlingsverteilung auf sämtliche EU-Staaten. Andererseits setzen die Sozialdemokraten neuerdings auf den Slogan "Integration vor Zuzug". Zuwanderer sollen einen Rechtsanspruch auf Integration erhalten, zugleich aber auch zu Integrationsmaßnahmen verpflichtet werden.
Die illegale Migration will die SPÖ auf null begrenzen. Rendi-Wagner setzt dazu vor allem auf einen effektiven Außengrenzschutz der EU. Zudem will sie verstärkt Rückführungsabkommen mit Staaten aushandeln. "Wir sind der Überzeugung, dass Schutzsuchenden am besten in der Nähe ihrer Heimatländer geholfen werden kann", heißt es weiter in dem entsprechenden Positionspapier.
Vom restriktiveren Kurs der ÖVP ist die SPÖ damit noch immer entfernt, ein Stück näher als die Grünen steht sie der Volkspartei aber doch. Dass Türkis-Rot lediglich an Unterschieden in der Migrations- und Integrationspolitik scheitert, erscheint eher unwahrscheinlich.
Wien alsmögliches Vorbild
Bei Türkis-Grün könnten die Differenzen hingegen zum unüberbrückbaren Hindernis werden. Die ÖVP wurde vor allem für ihre restriktive Migrationspolitik gewählt, wie diverse Wählerbefragungen zeigten. Doch gerade für die grüne Basis sind einige der ÖVP-Positionen untragbar.
Als mögliches Vorbild für eine Lösung bietet sich die Vorgehensweise im rot-grün regierten Wien an: Die Grünen unterstützen dort formell die "Law and Order"-Projekte von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Darunter zum Beispiel das Alkoholverbot am Praterstern, dem sie inhaltlich nur wenig abgewinnen können. Dafür lässt Ludwig den Grünen weitgehend freie Hand, wenn es um das grüne Leibthema Klima ging.
Ähnlich könnte es im Bund funktionieren: Kompromisse werden öffentlichkeitswirksam als Erfolg verkauft; ansonsten lässt man sich gegenseitig in Ruhe werkeln. Allerdings ist im Bund, bei dem die Gesetzgebungskompetenz konzentriert ist, ein weitaus größeres Entgegenkommen als auf der Landesebene erforderlich.