Die Verhandlungen über eine große Koalition in Israel sind ungeachtet einer Einigung auf die politischen Leitlinien erneut ins Stocken geraten. Doch nicht nur mit der Arbeiterpartei, auch mit dem zweiten Koalitionspartner in spe, dem Vereinigten Thora-Judentum, treten die Gespräche auf der Stelle.
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Ministerpräsident Ariel Sharon und der Chef der Arbeiterpartei, Shimon Peres, wollten gestern am späten Nachmittag einen neuerlichen Versuch unternehmen, die Koalition unter Dach und Fach zu bringen. Das Ergebnis stand zu Redaktionschluss noch aus.
Peres hatte am Sonntag zur Bedingung für einen Regierungseintritt seiner Linkspartei den Posten eines stellvertretenden Ministerpräsidenten gefordert. Sharon hatte zunächst seine Zustimmung signalisiert. Da das Grundgesetz in Israels jedoch nur einen solchen Posten vorsieht, hat der Premier aber nur zwei Möglichkeiten, die Forderungzu erfüllen: Entweder sein bisheriger Vize und Likud-Parteikollege Ehud Olmert verzichtet auf sein Amt oder das Parlament ändert das Grundgesetz. Beide legen sich quer. Olmert, ein enger Freund Sharons, stellte bereits klar, dass er seinen Platz nicht freiwillig räumt. Der Vorsitzende des zuständige Ausschusses, Michael Eitan (ebenfalls Likud), erteilte einer Grundrechtsänderung im Eilverfahren eine ebenso klare Absage. Viele Likud-Falken sehen in der Vereinbarung eine zu starke Aufwertung des linken Koalitionspartners. Immerhin würde Peres gemeinsam mit Olmert Sharons Amtsgeschäfte übernehmen, sollte dieser sie aus irgendeinem Grund nicht wahrnehmen können, lautet das Argument.
Als Kompromisslösung bot die Likud-Partei Peres einen Vizepremier-Posten an, dessen Zuständigkeit auf die Nahost-Friedensverhandlungen beschränkt würde; Olmert bekäme alle anderen Aufgabenbereiche zugesprochen. Eine Gesetzesänderung wäre nicht erforderlich. Die Arbeiterpartei lehnte jedoch ab. Stattdessen soll diese bereit sein, auf den Posten des Vizepremiers zu verzichten, falls Peres dafür entweder das Verteidigungs- oder das Außenminister bekommt. Peres dürfte Sharon den Vorschlag bei seinem gestrigen Treffen überbracht haben. Innerhalb des Likud wäre auch eine solche Entscheidung für Sharon jedoch schwer durchzubringen.
Nicht weniger kompliziert gestalten sich für diesen die Verhandlungen mit der ultra-orthodoxen Partei Vereinigtes Thora Judentum (UTJ). Auch mit ihr hätte bereits am Sonntag das Koalitionsabkommen unterzeichnet werden sollen. Die UTJ verlangt sehr zum Unmut Sharons plötzlich, dass die Regierung die geplanten Kürzungen bei der Kinderbeihilfe zurücknimmt und die Unabhängigkeit der religiösen Bildungseinrichtungen garantiert. Erst vorige Woche hatte das Oberste Gericht ein Urteil erlassen, wonach Schulen, die die staatlichen Lehrpläne nicht einhalten, ab 2007 keine öffentlichen Subventionen mehr erhalten.
Sharon hatte im Streit um den von ihm angekündigten Abbau von jüdischen Siedlungen im Gazastreifen die Mehrheit im Parlament verloren. Vor zwei Wochen war seine Koalition dann endgültig zerbrochen.
Ein führender Vertreter des militanten Siedlerrates hat unterdessen zum "zivilen Ungehorsam" gegen Sharons Gaza-Abzugsplan aufgerufen, den er als "unmoralisches Verbrechen" bezeichnete. Er hofft, dass sich 8.000 Siedler trotz drohender Geld- und Haftstrafen in ihren Häusern verbarrikadieren, um die Zwangsumsiedlung zu verhindern.