Im Bereich Europapolitik ist vieles nur vage formuliert. Paris hofft daher, dass sich Deutschland doch noch stärker auf Macrons Reformideen einlässt.
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Berlin/Paris. Die erste offizielle Reaktion aus Paris kam mit einem Tag Verspätung, dafür war sie umso positiver. Die Einigung auf eine große Koalition in Deutschland sei "eine sehr gute Nachricht", sagte der französische Europastaatssekretär Jean-Baptiste Lemoyne am Donnerstag. "Wir brauchen solide Partner."
Doch der Koalitionsvertrag von Union und SPD sorgt in Paris nicht nur für Beifall, er weckt auch viele europapolitische Begehrlichkeiten. Denn vieles im Papier ist so vage und ergebnisoffen formuliert, als dass der Eindruck entsteht, die Deutschen könnten sich in künftigen Verhandlungen noch bewegen. Und das wäre ganz im Sinne von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Denn dieser hat in seiner richtungsweisenden Rede an der Sorbonne einen neuen europäischen Aufbruch skizziert, der weit über das hinausgeht, was sich Deutschland bisher hat vorstellen können.
So schwebt Macron nicht nur ein eigenes Budget für die Euro-Zone und ein eigener Euro-Finanzminister vor. Macron will auch den Rettungsschirm ESM zu einem Europäischen Währungsfonds umbauen. Und auch abseits der Finanzpolitik steht so einiges auf Macrons Agenda. So plädiert er für die Schaffung einer europäischen Asylbehörde, die Gründung von paneuropäischen Universitäten und den konsequenten Ausbau einer eigenen EU-Armee.
Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire äußerte am Donnerstag vor allem die Hoffnung auf nachhaltige Fortschritte bei der Reform der Euro-Zone. "Wir haben eine echte Chance auf eine Annäherung mit Deutschland", sagte er auf einer Kapitalmarktkonferenz in Paris. Le Maire geht es dabei vor allem um eine Vollendung der Banken- und der Kapitalmarktunion in Europa sowie um gemeinsame Regeln bei der Erhebung von Firmensteuern. "Ich appelliere an unsere deutschen Freunde, dass sie verstehen, dass es keine Bankenunion geben wird ohne ein Minimum an Solidarität zwischen den Euro-Staaten", sagte Le Maire. Deutschland tritt bei diesem Thema bisher auf die Bremse, weil es befürchtet, dass die eigenen Steuerzahler für Verluste haften müssen, die südeuropäischen Banken durch Kreditausfälle entstehen.
Die SPD als Gegenüber
Doch selbst wenn man sich bei Themen wie der Bankenunion, der einheitlicheren Unternehmensbesteuerung oder zusätzlichen Mitteln für die Euro-Zone vielleicht annähern kann, werden wohl etliche Bereiche bestehen bleiben, in denen die deutsche Politik dann doch nicht über ihr Schatten springen kann oder will. So findet etwa Macrons Idee eines Euro-Finanzministers wohl ganz bewusst keine Erwähnung im Koalitionsvertrag. Ebenso ist auch keine Rede von einer europäischen Asylbehörde oder dem von Macron ebenfalls angedachten gemeinsamen Energiemarkt.
Macron wird sich mit seinen europapolitischen Ideen künftig aber wohl dennoch leichter tun. Denn abgesehen von Kanzlerin Angela Merkel werden bei den großen Themen nun SPD-Minister auf der anderen Seite des Verhandlungstisches sitzen. So übernimmt das Finanzressort, das jahrelang von Wolfgang Schäuble geprägt war, nun der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz. Und Außenminister wird Martin Schulz, der schon früher seine Nähe zu Macron betont hat.