Tokio - Der japanische Ministerpräsident Junichiro Koizumi hat mit dem Sieg bei der Oberhauswahl eine erste Schlacht gewonnen. Doch die schwersten Herausforderungen stehen ihm erst bevor. Koizumi weiß, dass er seinen noch vagen Reformversprechen nun konkrete Taten folgen lassen muss.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Nach einem "verlorenen Jahrzehnt" hat Japan mit Junichiro Koizumi eine Chance, endlich aus der langjährigen Krise herauszukommen. Auf ihm ruhen nicht nur die Hoffnungen der Japaner, sondern auch der übrigen Welt, für die eine gesunde japanische Wirtschaft ebenso wichtig ist.
Die Wahl von Sonntag hat die Bereitschaft der Japaner gezeigt, auch schmerzhafte Reformen zu ertragen. Welche Opfer jedoch konkret auf sie zukommen, weiß bisher niemand. Wie leidensbereit das Volk wirklich ist, wird sich also erst zeigen, wenn Koizumi seine Pläne in die Tat umsetzt. Dies wird nicht einfach sein: Zum einen bleibt abzuwarten, ob sich der Regierungschef tatsächlich gegen die innerparteilichen Reformbremser und Lobbyisten durchzusetzen vermag. Zum anderen steht er vor dem heiklen Balanceakt, die angeschlagene Wirtschaft des Landes zu reformieren und zugleich allzu verheerende Folgen für Wachstum und Arbeitsmarkt zu vermeiden. Schonungsloser als Tokios Börse konnte niemand den Ernst der Lage am Tag nach der Wahl verdeutlichen: Unbeeindruckt von Koizumis erwartetem Sieg stürzte der Nikkei-225-Index auf den tiefsten Stand seit mehr als 16 Jahren. Angesichts des drohenden Rückfalls in die Rezession forderten die Zeitungskommentatoren des Landes Koizumi am Montag sofort zum Handeln auf.
Die Tageszeitung "Asahi Shimbun" brachte es auf den Punkt: Es wäre ein "Mittsommer-Albtraum" würden nach der gewonnenen Wahl die Reformgegner jetzt wieder "ihre Köpfe erheben". Ein weiterer Albtraum wäre, wenn sich die Wirtschaft weiter verschlechterte, was die Strukturreformen verzögern würde. Das Wahlergebnis zeige die hohen Erwartungen des Volkes an Koizumi. Anderseits bestehe weiterhin Skepsis über sein vages Reformprogramm und die Diskrepanz zwischen seinen Versprechungen und dem wahren Geist der regierenden Liberaldemokraten (LDP), meinte die Zeitung "Mainichi Shimbun".
Vertraut man den Signalen aus dem mächtigsten Parteiflügel um Ex-Regierungschef Ryutaro Hashimoto, kann Koizumi bei der im September erfolgenden Wahl des LDP-Chefs jedoch mit seiner Wiederwahl rechnen. Das wäre in der Tat ein weiterer äußerst wichtiger Etappensieg für Koizumi.
"Das Problem ist, ob Koizumi wirklich weiß, was er verändern möchte", meinte Professor Gerald Curtis von der Universität Columbia. Ein einziger Fehler, so die Zeitung "Yomiuri Shimbun", würde Koizumis enorme Popularität sofort zunichte machen. Die erste Herausforderung für Koizumi ist die Erstellung des neuen Staatshaushalts.
Jesper Koll, Chefökonom des US-Brokers Merrill Lynch in Tokio, ist zuversichtlich: Auch wenn die Regierung noch einen Nachtragsetat verabschiede, so werde das Geld diesmal nicht mehr für unproduktive Straßen und Brücken verschwendet, sondern in die Stadtentwicklung und Informationstechnologie investiert. Zudem werde der Etat klein sein. Koll ist sicher, dass Koizumi an seiner Reformagenda festhält, solange die Wirtschaft nicht kollabiert.