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Kollaps eines Kartenhauses

Von Michael Schmölzer

Analysen

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Kaum hat der letzte US-Soldat den Irak verlassen, bricht im Zweistromland das Chaos aus. Der schiitische Premier Nuri al-Maliki schlägt wild um sich, lässt seinen Stellvertreter, den Sunniten Tarik al-Hashimi, per Haftbefehl suchen. Grund: Al-Hashimis Leibwächter sollen in terroristische Umtriebe verwickelt sein. Später will Maliki die gesamte sunnitische Ministerriege entlassen, weil sie die Sitzungen seines Kabinetts boykottiert. Die Situation ist zum Zerreißen gespannt.

Washington muss hilflos zusehen, wie sich ein vermeintliches Glanzstück amerikanischer Diplomatie in Luft auflöst. In mühevoller Kleinarbeit wurde unter US-Vermittlung ein Kompromiss zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen ausgehandelt, die untereinander zahllose offene Rechnungen zu begleichen hatten und nach dem Sturz Saddam Husseins die Möglichkeit fanden, aufeinander loszugehen. Unter großen Mühen wurde eine Regierung gebildet, doch die neue Ordnung ist so stabil wie ein Kartenhaus.

Nicht nur auf dem Verhandlungstisch bricht alles auseinander. Der Irak wird dieser Tage von einer Terrorwelle heimgesucht, wie sie vor wenigen Wochen noch unvorstellbar schien. Schiiten reißen Sunniten mit in den Tod und umgekehrt. Während im Inneren der Krieg der Konfessionen tobt, zerfällt der Irak im achten Jahr nach Saddam in seine Einzelteile. Zunächst sagte sich die Provinz Salaheddin los, dann erklärte sich Mitte Dezember auch die nördlich an Bagdad angrenzende Region Diyala zum Autonomiegebiet.

Dazu kommt, dass der Irak zum Spielball regionaler Mächte wird. Der Iran, der selbst an einem Atomwaffenprogramm arbeitet, hat in den vergangenen Jahren mit großer Genugtuung dem Niedergang des Erzfeindes zugesehen. Jetzt kann er den Irak zu seinem Vorhof machen, ohne dass die USA eingreifen können. Im Norden versucht die Türkei, das autonome irakische Kurdengebiet unter Kontrolle zu bekommen - immerhin verschanzen sich dort PKK-Kämpfer.

Die USA stehen vor den Trümmern ihrer Politik und bekommen einen Vorgeschmack auf das, was ihnen in Afghanistan bevorsteht. Dort sollen die US-Truppen bis 2014 fast komplett abziehen, auch dort hinterlassen die USA eine höchst instabile, von Korruption und Intrigen zersetzte politische Ordnung. Die Taliban, die ebenfalls nicht vor Bombenterror zurückschrecken, warten bereits auf ihre Chance. Am Hindukusch stehen einander verschiedene Volksgruppen misstrauisch und feindlich gegenüber. Ein Bürgerkrieg kann schnell in die Machtergreifung durch Islamisten münden. Damit wäre der Zustand, wie er vor der US-Invasion 2001 bestand, wiederhergestellt.