Berlins rot-rot-grüne Stadtregierung will Wohnungsspekulation einbremsen und trifft damit auch Genossenschaften.
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Berlin/Wien. Läppisch nahmen sich die Wohnungspreise in Berlin noch vor zehn Jahren aus. Nur etwas mehr als 5 Euro pro Quadratmeter betrug im Durchschnitt die Miete, Eigentum war um 900 Euro je Quadratmeter zu haben - jedoch bei oftmals lausiger Qualität, geheizt wurde gerne noch mit Kohle. Mittlerweile beträgt der Kaufpreis im Schnitt 3900 Euro, für die Miete sind knapp 10 Euro pro Quadratmeter zu berappen. Gemessen an der Kaufkraft fließt fast jeder zweite verfügbare Euro der Bürger in Miete und Nebenkosten.
Für den drastischen Anstieg ist das internationale Umfeld nur zum Teil verantwortlich. Die Finanzkrise 2008 und der darauffolgende Run auf "Betongold" hat auch Berlin zu einem gefragten Anlageort gemacht. Der Trend zur Verstädterung verspricht stetigen Zuzug und damit auch gesicherte Renditen. Das im Umfeld einer Nullzinspolitik durch die Europäische Zentralbank, die bis mindestens Sommer kommenden Jahres verlängert wurde.
Dazu kommt, dass ausgerechnet linke Landesregierungen den sozialen Wohnbau sträflich vernachlässigt haben. Seit 2001 stellt die SPD ununterbrochen den Bürgermeister. Unter Klaus Wowereit - und im Verbund mit dem postkommunistischen Koalitionspartner - veräußerte die klamme Hauptstadt gar landeseigene Wohnungen.
Klagewelle zu erwarten
Wowereits Nachfolger Michael Müller und seine Koalitionspartner Grüne und Linkspartei versuchen nun mit der Brechstange, frühere Fehler wiedergutzumachen. Die Mieten von 1,5 Millionen Wohnungen werden für die kommenden fünf Jahre eingefroren. Darauf einigten sich Rot-Rot-Grün diese Woche. Bis Oktober soll der entsprechende Gesetzesentwurf stehen und die Regelung im Jänner 2020 in Kraft treten. Zum sogenannten Mietendeckel gehört auch, dass für neu vermiete Wohnungen nicht mehr verlangt wird, als der Altmieter bezahlt hat. Ebenfalls wird eine Mietpreisobergrenze eingeführt, deren Höhe allerdings noch nicht feststeht. Von der Regulierung ausgenommen sind Neubauwohnungen, die erstvermietet werden. Bei Nichtbefolgung des neuen Regelwerks kündigt die Landesregierung drakonische Strafen von bis zu 500.000 Euro an.
Die Koalition ist sich der rechtlichen Risiken bewusst: "Wir haben hier Neuland", sagt Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher von der Linkspartei. Juristen gehen von einer Klagewelle aus. Daher blicken sämtliche deutsche Städte gespannt nach Berlin, ob das dortige Modell vor Gericht hält. Denn in München, Hamburg und Frankfurt genauso wie in kleineren Universitätsstädten vom Zuschnitt Tübingens und Erlangens droht die alteingesessene Bevölkerung angesichts des Preisdrucks verdrängt zu werden. Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel, der einer von der Übergangsvorsitzenden der Bundespartei ist, bringt bereits einen Mietendeckel für ganz Deutschland ins Spiel. Kanzlerin Angela Merkel hat bisher zu den Plänen Berlins geschwiegen.
Parifizieren und abverkaufen
Wenig überraschend fällt das Urteil der Wohnungswirtschaft vernichtend aus. "Man wird sich in Zukunft zweimal überlegen, ob man in Berlin oder besser woanders investieren will", sagt Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien Ausschusses. Zu rechnen ist, dass Zinshäuser in Familienbesitz angesichts ausbleibender Mieterhöhungen parifiziert und die Wohnungen teuer verkauft werden. Zum Zug kämen dabei lediglich Gutverdiener. Und das Mietwohnungsangebot würde verringert - was die Berliner Landesregierung sicher nicht will.
Rot-Rot-Grün haben mit ihrer Reform die Abschreckung der großen Investoren im Blick. Die Bürgerinitiative "Deutsche Wohnen und Co enteignen" hat bereits knapp 80.000 Unterschriften gesammelt, um ein Volksbegehren einzuleiten. Sie will, dass Wohnungen des größten privaten Vermieters Berlins kommunalisiert werden. Dieses Vorhaben würde die öffentliche Hand Milliarden kosten, jedoch keinen so dringend benötigten Wohnraum schaffen. Politische Unterstützung für das Bürgerbegehren kommt vor allem aus der Linkspartei.
Im Kampf gegen Konzerne und Spekulanten drohen die Genossenschaften zum Kollateralschaden zu werden. Sie benötigen die Gewinne aus den Mieteinnahmen, um die Sanierung des Bestandes voranzutreiben - also auch für Maßnahmen, die dem Klimaschutz zugutekommen. Bleiben die Gewinne aus, fehlt auch das Geld für die Errichtung neuer - und leistbarer - Wohnungen.
Und so klagt der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, in dem 350 private, kommunale und genossenschaftliche Unternehmen vertreten sind: "Ein pauschales Einfrieren der Mieten kommt einer Bestrafung ausgerechnet der Guten am Markt gleich."