Die rechtspopulistischen und erzkonservativen Kräfte haben inhaltlich und personell keine Antworten mehr.
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Erst kam Jair Bolsonaro, den Rest besorgte die Pandemie: Lateinamerikas konservative und rechtspopulistische Kräfte sind am Ende. Der Sturm von radikalen Anhängern des abgewählten brasilianischen Präsidenten auf die Institutionen in Brasilia im Jänner wird genauso wie seine Umweltzerstörung für immer im Lebenslauf des Rechtspopulisten Bolsonaro stehen bleiben. Zuletzt die krachende Wahlniederlage bei den Regionalwahlen und einem Referendum für das Lager von Guillermo Lasso in Ecuador: Der rechtsgerichtete Präsident dürfte - wenn er überhaupt noch so lange durchhält - bis zum Ende seiner Amtszeit 2025 ein schwacher Staatschef sein. In den großen Städten des Landes feierte das Lager des Linkspopulisten Rafael Correa, der Ecuador von 2007 bis 2017 regierte, eine Wiederauferstehung.
Das schwache Abschneiden Lassos ist nur eine von vielen Wahlniederlagen, die das rechte, rechtspopulistische oder konservative Lager in den letzten Jahren hat hinnehmen müssen. Vieles, aber nicht alles, liegt an den Folgen der Pandemie und des russischen Überfalls auf die Ukraine. Die damit verbundenen Wirtschaftskrisen schlagen auch auf Lateinamerika voll durch. Stand das rechte Lager stets für die größere Wirtschaftskompetenz, ist dieser Markenkern mit der Pandemie in sich zusammengebrochen. Alle rechten Regierungen, die während der Pandemie und danach zur Wahl standen, sind abgewählt. Gefragt ist stattdessen der Markenkern linker und sozialistischer Politik: sozial gerechtere Verteilung. Wer nichts mehr hat, braucht eben dringend Hilfe.
Honduras, Chile, Brasilien, Kolumbien gingen im letzten Jahr bereits an die linken Kräfte. Das Schreckgespenst der Rechten, die stets mit dem Szenario den heruntergewirtschafteten Venezuela drohen, wenn die Linke in einem Land vor einem Wahlsieg steht, zieht nicht mehr. Auch sie konnten während der Pandemie die wachsenden Armutsraten nicht aufhalten. Und damit fehlen die Argumente.
Neuaufbau nötig
Hinzu kommt das Personal: Es fehlt an charismatischen Politikerinnen und Politikern, die - auf dem Boden der Verfassung und der Demokratie - für einen seriösen konservativen Weg stehen und werben. Das sich auch die katholische Kirche wirtschaftspolitisch - nicht gesellschaftspolitisch - eher dem linken Lager zuwendet, entzieht den konservativen Kräften weiteren Boden. In Brasilien, Chile und Kolumbien standen zuletzt mit Jair Bolsonaro, Jose Antonio Kast und Rodolfo Hernandez als Alternative auf dem Wahlzettel, die mit einer seriösen konservativen Gegenentwurf wenig am Hut haben. Salopp formuliert könnte man sie politische Schaumschläger nennen.
Der ehemalige kolumbianische Präsidentschaftskandidat Rodolfo Hernandez hat gerade erst seine noch im letzten Jahr im Wahlkampf geübte Kritik am späteren Wahlsieger Gustavo Petro vergessen und geht jetzt laut kolumbianischen Medienberichten wohl als Kandidat für Petros Linksbündnis "Pacto Historico" in seiner Heimatprovinz als Gouverneur ins Rennen. Mit dieser Beliebigkeit wird Politikverdrossenheit und Misstrauen erzeugt.
Auf den lateinamerikanischen Konservatismus wartet nun eine schwierige und komplexe Phase eines Neuaufbaus: Inhaltlich, personell und vor allem auch stilistisch hat das aktuelle rechte Lager abgewirtschaftet und muss sich neu erfinden.
Von Chile bis Mexiko: Die rechtspopulistischen und erzkonservativen Kräfte haben inhaltlich und personell keine Antworten mehr.