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Kollektiver Rechtsschutz nach angloamerikanischem Vorbild

Von Andreas Daxberger und Dominik Schwarzl

Recht
© adobe.stock/txakel

Class Action in Österreich? Der Begriff wird oft für die Gruppen- oder Sammelklage verwendet und der österreichischen Rechtslage gleichgesetzt. Dem ist jedoch nicht so.


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In jüngerer Vergangenheit ist immer wieder von Gerichtsverfahren zu hören, in denen Hundertschaften anstreben, Ansprüche überwiegend gegen Unternehmen durchzusetzen. Die zuletzt wohl bekanntesten Fälle betreffen die Durchsetzung diverser Ansprüche gegen Automobilkonzerne. Vergleichbare Klagen, in denen sich zahlreiche potenziell Geschädigte gegen Unternehmen durchzusetzen versuchten, gab es aber beispielsweise auch aufgrund von Finanzprodukten, Kartellen oder schlicht wegen unzulässiger Vertragsbestandteile in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern. Der angloamerikanische Begriff der Class Action wird dabei häufig missverständlich für die Gruppen- oder Sammelklage verwendet und der österreichischen Rechtslage gleichgesetzt. Dem ist jedoch nicht so.

Bei einer Class Action handelt es sich eher um eine repräsentative Durchsetzung von Rechten für eine Vielzahl von Betroffenen. Das Rechtsinstitut der Class Action gibt es nicht nur in den USA, sondern auch in anderen angelsächsischen Rechtssystemen wie beispielsweise Kanada, dem Vereinigten Königreich oder Australien. Teilweise haben auch Staaten außerhalb des angelsächsischen Rechtsraumes ähnliche Rechtsinstitute implementiert. An dieser Stelle werden hier sinnbildlich jedoch nur die Class Action nach US-amerikanischem Bundesrecht und vergleichbare Rechtsinstitute nach österreichischem Recht dargestellt.

In einer Class Action repräsentiert üblicherweise ein Kläger einen typischen Fall für alle gleich gelagerten Fälle und potenziell Betroffenen. Dies ist der Fall, wenn es:

1) eine Klasse von großem Umfang gibt, 2) Rechts- oder Tatsachenfragen bestehen, die für die ganze Klasse ident sind, 3) es eine repräsentative Partei gibt, deren Ansprüche und Einwände typisch für die Klasse sind, und 4) diese repräsentative Partei die Interessen aller Mitglieder der Klasse fair und angemessen vertritt.

Zusätzlich muss eine der folgenden Voraussetzungen vorliegen:

1) Die getrennte Durchsetzung aller Ansprüche würde zu inkonsistenten Ergebnissen führen, die die Interessen der Mitglieder der Klasse beeinträchtigten würden. 2) Die Durchsetzung von Unterlassungs- oder Feststellungsbegehren, die für die gesamte Klasse oder gegenüber der gesamten Klasse bestehen. 3) Gemeinsame Rechts- und Tatsachenfragen überwiegen Einzelfragen, und eine Sammelklage ist daher der überlegene Mechanismus zur Klärung der Ansprüche der Mitglieder der Klasse.

Enger Anwendungsbereichbei der Verbandsklage

Die Prozessführung in der Class Action ist deshalb eine Art Repräsentanz. Es wird nicht jedem potenziell Betroffenen rechtliches Gehör geschenkt. Die Mitglieder der Klasse werden üblicherweise nicht individuell im Prozess gehört und sind auch nicht eigens anwaltlich vertreten. Sie werden jedoch durch öffentliche Bekanntmachungen verständigt und können aus der Klasse optieren. Der Umfang der Klasse muss nach bestimmten verifizierbaren Kriterien definiert sein, nicht jedoch die Identität aller Mitglieder der Klasse bekannt sein. Dies bedingt wiederum, dass ein Urteil in einer Class Action nicht konkret auf alle potenziell Anspruchsberechtigten eingehen kann. Dennoch entfaltet ein entsprechendes Urteil Bindungswirkung für alle Mitglieder der Klasse.

Das österreichische Gesetz kennt keine Parallelnormen zur Class Action in den USA, es haben sich aber im Wesentlichen tatsächlich zwei ähnliche Rechtsinstitute herausgebildet: die österreichische Sammelklage und die Verbandsklage. Die Verbandsklage steht nur in wenigen gesetzlich genannten Fällen zu und kann nur durch die dort aufgezählten Verbände (zum Beispiel der Verein für Konsumenteninformation oder Wirtschaftskammer Österreich) durchgesetzt werden. Überdies können durch die Verbandsklage keine Leistungsklagen wie etwa Schadenersatzklagen durchgesetzt werden, weswegen ihr Anwendungsbereich wesentlich enger als jener der US-amerikanischen Class Action ist und hier nicht näher behandelt wird.

Der Terminus der Sammelklage ist dem österreichischen Gesetz eigentlich fremd. Mit dieser Vorgangsweise übertragen lediglich alle potenziellen Kläger ihre Ansprüche auf eine Gesellschaft oder einen anderen Rechtsträger. Diese Gesellschaften oder Rechtsträger setzen alle Ansprüche in einem Verfahren gegen die beklagte Partei durch. Im Detail bestehen weiterhin einige offene Fragen, nichtsdestotrotz hat vor allem der Verein für Konsumenteninformation einige Verfahren auf dieser Grundlage geführt (und auch gewonnen).

Es bestehen jedoch zahlreiche Unterschiede zwischen der österreichischen Sammelklage und der US-amerikanischen Class Action. Einer österreichischen Sammelklage muss man sich aktiv anschließen, es ist daher die Identität jedes Klägers (gerichts-)
bekannt. Somit können sich auch die Urteilswirkungen nur auf jene Kläger erstrecken, die sich aktiv angeschlossen haben.

Zum Unterschied dazu muss man nach US-amerikanischem Recht üblicherweise aus der Klasse optieren, um von den Urteilswirkungen nicht erfasst zu werden. Ein wesentlicher Unterschied besteht in der Thematik der Verjährung von Ansprüchen. Nach US-amerikanischem Recht wird die Verjährung der Ansprüche aller Mitglieder der Klasse unterbrochen, sobald die Class Action vom Gericht anerkannt wurde. Die Verjährung wird in Österreich jedoch nur für jene Kläger unterbrochen, die sich der österreichischen Sammelklage angeschlossen haben. Somit kann eine österreichische Sammelklage in den seltensten Fällen beobachtet werden, um dann erst zu entscheiden, ob man das Risiko einer Klagsführung auf sich nimmt.

Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist, dass nach österreichischem Recht und der Europäischen Grundrechtecharta jeder Partei in einem Verfahren entsprechendes Gehör zukommen muss. Die Class Action verzichtet auf dieses Gehör der Mitglieder der Klasse.

Initiative auf EU-Ebene zum Schutz von Kollektivinteressen

Die österreichische Rechtsordnung hat somit ihre eigene Art des kollektiven Rechtsschutzes herausgebildet, die zwar gewisse Gemeinsamkeiten mit der US-amerikanischen Class Action aufweist, sich aber in einigen Punkten wesentlich davon unterscheidet. Es gibt allerdings eine Initiative auf EU-Ebene, eine Verbandsklage zum Schutz von Kollektivinteressen für die Durchsetzung von EU-Recht einzuführen.

Letztlich wird es auch von der Zusammensetzung der diversen Gremien in der EU nach der unlängst erfolgten EU-Wahl abhängen, ob beziehungsweise in welcher Form eine solche Sammelklage allenfalls verabschiedet wird. Derzeit ist wohl nicht damit zu rechnen, dass die US-amerikanische Class Action nachgebildet wird.

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