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Das friedliche Zusammenleben der Religionen sollte niemand leichtfertig aufs Spiel setzen.
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Die Urteile des Landesgerichts Köln interessieren in Österreich im Allgemeinen genau niemanden. Jetzt aber haben die Richter aus der Stadt des Karnevals einen Jahrhunderte alten religiösen Ritus, die Beschneidung neugeborener Buben, als strafbare Körperverletzung klassifiziert. Das trifft Muslime und Juden gleichermaßen, was an sich schon ein kleiner Kölner Spaß ist.
In Österreich lässt sich jetzt fabelhaft darüber diskutieren, ob wir nicht mit einem eigenen Kabarettprogramm im Kölner Possenspiel mitmachen und die religiösen Gepflogenheiten der Minderheiten verbieten sollten. Es sind ohnehin jene Gruppen, die sich nicht gerade in der Gunst breiter Bevölkerungsteile befinden.
Juden und Muslime werden seit mehreren Jahrhunderten beschnitten. Komme da keiner und sage, die männlichen Mitglieder dieser Religionen hätten davon je Schaden gelitten. Es gibt keine Statistik, die Angehörige dieser Glaubensbekenntnisse in ihrer psychischen Entwicklung gegenüber Katholiken, Evangelischen oder Buddhisten benachteiligt ausweist. Also lassen wir doch die Kirche, die Moschee und die Synagoge im Dorf. Die kleinen Mädchen, denen die liebevollen katholischen, agnostischen und anderswie-gläubigen Mütter Löcher in die Ohren stanzen lassen, damit die Ohrringe der Oma ein nettes Plätzchen finden, hat auch noch kein Kölner Gericht in Schutz genommen. Und muslimische wie jüdische Eltern lieben ihre Kinder ebenso wie alle anderen Eltern.
Der Islam ist in Österreich seit 1912 zugelassene Religion, das Judentum nach seiner fast vollständigen Ausrottung immerhin wieder seit 1945 respektierter Glauben. Das friedliche Zusammenleben der Religionen sollte niemand leichtfertig aufs Spiel setzen. Es ist eine der großen integrativen Leistungen der Republik Österreich, dass wir keine Religionskonflikte haben.
Wenn es daher tatsächlich so wäre, dass auch ein österreichisches Gericht die Beschneidung als Körperverletzung klassifizieren könnte, so müsste wohl der österreichische Nationalrat blitzschnell und vorweg agieren und ein Gesetz beschließen, dass dieses Ritual - durchgeführt durch Mediziner - ausdrücklich zulässt. Da könnten die Ohrstechereien auch gleich mit geregelt werden. Zusätzlich müsste dann auch organisiert werden, dass genügend Ärzte bereit sind, Beschneidungen in Anwesenheit von Vertretern der Religionsgemeinschaft durchzuführen.
In Österreich war noch bis in die frühen 1970er der Schwangerschaftsabbruch verboten. Trotz radikaler Strafandrohung ließen von Not und Sorgen gepeinigte Frauen abtreiben, sie sahen einfach keine andere Wahl. Der Gesetzgeber zwang sie in Hinterzimmer und zu Engelmacherinnen. Meine Generation hat dagegen demonstriert und erreicht, dass sich Frauen heute beraten lassen können und von Medizinern nach den Regeln der Kunst behandelt werden. Es wäre fatal, muslimische und jüdische Buben und ihre Eltern in jene Hinterzimmer zu verbannen, aus denen sich die jungen österreichischen Frauen vor vier Jahrzehnten befreit haben.