Umfragen geben dem Amtsinhaber 57 bis 61 Prozent. | Mitte-Links-Kandidat Carlos Gaviria liegt bei 20 Prozent. | Bogota. (dpa) "Je länger man sich mit Kolumbien beschäftigt, desto weniger versteht man es." Dieser Stoßseufzer eines deutschen Diplomaten in Bogotá scheint sich bei der Präsidentenwahl am kommenden Sonntag wieder einmal zu bestätigen. Amtsinhaber Präsident Alvaro Uribe, der "Unbesiegbare", kann mehreren Umfragen zufolge mit 57 bis 61 Prozent der Stimmen rechnen. Damit wäre er gleich in der ersten Runde wiedergewählt. Und das, obwohl er mit seiner Politik der harten Hand keines der grundlegenden Probleme des Landes hat lösen können, das von einem mehr als vierzigjährigen Bürgerkrieg zerrissen ist.
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Die größte linke Guerilla-Gruppe, die marxistischen "Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens" (FARC), sind Dank milliardenschwerer US-Militärhilfe für die Streitkräfte zwar geschwächt, aber alles andere als besiegt. Die immensen Einnahmen aus dem Drogenschmuggel erlauben es der Guerilla, auch ohne nennenswerte Unterstützung der Bevölkerung dem militärischen Druck Uribes stand zu halten. Die Streitkräfte verschleißen sich unterdessen im Kampf gegen einen unsichtbaren Feind. Die meisten Opfer gibt es durch Landminen und nicht bei Gefechten.
Verhandlungen kamen nicht einmal über einen Austausch inhaftierter Rebellen gegen hochrangige FARC-Geiseln wie die frühere Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt in Gang. Von Friedensgesprächen ganz zu schweigen. Mit dem kleineren "Nationalen Befreiungsheer" (ELN) werden seit Monaten zähe Vorgespräche für Verhandlungen geführt.
Drogenbekämpfung ist gescheitert
Die Drogenanbauflächen wachsen unterdessen trotz massiver Besprühung aus der Luft und riskanter Rodung per Hand weiter, und Kolumbien ist unangefochten Weltmeister im Export von Kokain. Unter der Hand räumen Experten und ausländische Diplomaten ein, dass die bisherige Strategie, das weltweite Drogenproblem durch die Bekämpfung der Produktion zu lösen, gescheitert ist. Ohne eine Legalisierung der Drogen in den Konsumentenländern sei der Kampf verloren, ist immer wieder zu hören. Das offen zuzugeben wagt aber niemand. Auch der auf den ersten Blick größte Erfolg der ersten Amtszeit Uribes, die Entwaffnung der wegen zahlreicher Massaker berüchtigten paramilitärischen "Einheiten zur Selbstverteidigung Kolumbiens" (AUC), ist höchst umstritten. Die Vereinten Nationen und Menschenrechtsorganisationen kritisieren milde Strafen für Mord, Vertreibung von Zivilisten und Drogengeschäfte als verdeckte Amnestie. Die Zusammenraffung von mehr als vier Millionen Hektar Land durch AUC-Kommandanten gleicht einer umgekehrten Landreform - und in Drogengebieten wechseln zur Zeit tausende ehemalige Paramilitärs in das Lager der Drogenbanden.
Zivilbevölkerung leidet unter Terror
Für die Zivilbevölkerung bedeutet das weiterhin Unterdrückung und Terror. Und wenn es nicht schnell legale Arbeitsplätze für die mehr als 31.000 demobilisierten Paramilitärs gibt, "gibt es hier ein Desaster", warnt ein Entwicklungsexperte. Zum wichtigsten Gegenspieler Uribes hat sich überraschend der Mitte-Links-Kandidat Carlos Gaviria entwickelt. Er kann mit etwa 20 Prozent der Stimmen rechnen. Gaviria will die sozialen Ursachen für den jahrzehntelangen Konflikt mit der linken Guerilla angehen. Bis zu 90 Prozent Armut in ländlichen Gebieten abseits der größeren Städte - das ist aus seiner Sicht der wichtigste Grund, warum die Rebellen immer noch Zulauf haben.
Angesichts der Schwäche des Staates in weiten Teilen des Landes und der Verfilzung zwischen Polizei, Militär und Drogenbanden gerade in den besonders armen und abgelegenen Regionen erscheint das jedoch wie ein Kampf gegen Windmühlen. Zudem ist die Gewaltbereitschaft so tief verwurzelt, dass eine Menschenrechtlerin meint, sie sei den Kolumbianern schon in die Gene übergegangen.