Wie Kolumbianerinnen mithelfen, die Narben des jahrzehntelangen Bürgerkriegs zu heilen, der 2016 offiziell enden soll.
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Bogotá. Der Terror ist digitalisiert, erfasst und per Touchscreen abrufbar: Im "Haus der Erinnerung" in Medellín, der ehemaligen Welthauptstadt des Drogenhandels, gibt es keine Ausreden mehr. Nicht für Kolumbiens linksgerichtete Guerilla-Organisationen Farc und ELN, nicht für die ultrarechten Paramilitärs und auch nicht für den kolumbianischen Staat. Alle Akteure, die sich in dem blutigen Krieg, dem Friedensverhandlungen nun ein Ende setzen sollen, die Hände schmutzig gemacht haben, finden hier sorgsam aufgelistet ihre Massaker, Bombenanschläge und Gräueltaten wieder.
Die Managerin, die das alles beaufsichtigt, heißt Lucia Gonzalez Duque - eine resolute Frau mit rot gefärbten Haaren, die höflich aber bestimmt die Dinge beim Namen nennt, die in dem südamerikanischen Landzu dem Blutvergießen geführt haben. "Wir müssen uns dieser Realität stellen und die richtigen Konsequenzen ziehen", sagt sie. Mitgeholfen, dieses bemerkenswerte Monument der Erinnerungen zu errichten, hat die kirchliche Hilfsorganisation Misereor aus Deutschland.
Lernen, wie manMördern vergibt
Um die Direktorin herum herrscht meist buntes Treiben. Gerade begrüßt sie eine Gruppe von Schulkindern, die sich mit Hilfe der hochmodernen Technologie in Smartphone-Stil über die Gewalt informieren, die in über fünf Jahrzehnten mehr als 200.000 Menschenleben gekostet und mehr als sieben Millionen Kolumbianer zu Flüchtlingen gemacht hat. "Dieser Krieg hat viele Väter", sagt Gonzalez Duque. Ein dicker orangefarbener Aufkleber macht schon einmal auf das magische Datum aufmerksam: 23. März 2016. An diesem Tag soll, wenn alles gut geht, der Friedensvertrag zwischen der Regierung und der Farc unterschrieben werden. Dann soll der Krieg nur noch auf einem Schauplatz toben: als Geschichtsstunde in Gonzalez’ hochmodernen Museum in Medellín.
Doch Lucia Gonzalez Duque ist nicht die einzige Kolumbianerin, die sich aktiv mit der Kriegsaufarbeitung auseinandersetzt. Auch Angela Giraldo sieht die Chance für Kolumbiens Zukunft in der Vergangenheit. Gewalt hat die junge Frau aus nächster Nähe erfahren. Doch sie lernte, wie man Mördern vergibt. Ihr Bruder, der Ex-Abgeordnete Francisco Javier Giraldo,wurde während des Krieges entführt, vorgeführt und hingerichtet.Der Schmerz der Familie Giraldo aus der Millionenmetropole Cali ist auch gut acht Jahre nach dem brutalen Mord nicht weniger geworden. Doch Angela Giraldo will das Trauma überwinden. "Vergeben heißt nicht vergessen", lautetet ihr Motto, das sie sogar als Status in ihr WhatsApp-Profil stellt.
Wie schwer Versöhnung und Vergebung sein kann, kennt sie aus eigener Erfahrung: Angela Giraldo gehörte zu der ersten Gruppe von ehemaligen Opfern des bewaffneten Konfliktes, die von Experten der Nationalen Universität in Bogotá und der katholischen Kirche ausgewählt wurden, in die kubanische Hauptstadt Havanna zu reisen, wo die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos und der Guerilla-Organisation Farc stattfinden. Dort stand Angela Giraldo dann den geistigen Auftraggebern des Mordes an ihrem Bruder gegenüber. Und sie gab ihnen die Hand.
Das Bild vom Handschlag und von einer Frau, die den Peinigern ihrer Familie sogar mit einem höflichen Lächeln entgegentrat, sorgte für Schlagzeilen und Verwirrung in Kolumbien. Doch die mutige Frau aus Cali sieht den Dialog als große Chance, und sie zieht einen historischen Vergleich, der ihrem Land Mut machen soll. "Schauen Die nach Europa. Vor vielen Jahrzehnten hätte doch niemand gedacht, dass aus den Erzfeinden Frankreich und Deutschland einmal Freunde würden. Warum soll uns das nicht auch gelingen?"
Der Marschder tausenden Frauen
Auf eine friedliche Zukunft in ihrem Land setzt auch Claudia Palacio. "Ich bin optimistisch", sagt sie beherzt. Und ihre Zuversicht schöpft sie aus einer ganzen "Armee" an Friedensaktivistinnen, die ein neues, ein verändertes Kolumbien wollen. Vor ein paar Tagen, so berichtet es die Frau aus Quibdó, der Hauptstadt der bettelarmen und vorwiegend von Afro-Kolumbianern bewohnten Provinz Choco im Nordwesten des Landes, habe ihre Organisation zu einer Demonstration gegen Gewalt aufgerufen. Auf ein paar hundert Teilnehmerinnen hatte sie gehofft, am Ende waren es mehr als 5000 Frauen, die für das demonstrierten, was Kolumbien wirklich braucht: mehr soziale Gerechtigkeit, eine faire Verteilung von Land, starke und einflussreiche Gewerkschaften sowie eine Abkehr von der Gewalt.
Die Friedensaktivistinnen der "Ruta Pacifica de las Mujeres", die sich für einen pazifistischen Ausweg aus dem Bürgerkrieg einsetzen, sind inzwischen international anerkannt. Vor einem Jahr erhielten sie den Nationalen Friedenspreis. Ihre Worte finden in den kolumbianischen Medien inzwischen Gehör, weil sie authentisch sind und so ganz anders klingen als die martialische Sprache der kriegführenden Männer.
Wenn Claudia Palacio über den Krieg spricht, wird ihre Stimme laut und energisch, denn sie weiß, dass es vor allem Frauen sind, die in diesem Konflikt den Preis bezahlen - "als Ehefrauen, Mütter, Großmütter, Töchter oder Enkelinnen". "Wir werden kämpfen, bis dieser Krieg aufhört."
Ans Aufgeben denkt auch die Anwältin der Rechtlosen, Claudia Erazo, nicht. Mit dem von Misereor unterstützten Menschenrechtszentrum "Yira Castro" vertritt sie Opferfamilien in Kolumbien, die von ihrem Land vertrieben wurden. Und davon gibt es Millionen. Es sind vor allem die rechtsgerichteten Paramilitärs, die im Auftrag von internationalen Konzernen oder lokalen Großgrundbesitzern ganze Landstriche des südamerikanischen Staates gewaltsam entvölkern. Der legale und illegale Bergbau, der Drogenhandel, die aggressive Landwirtschaft von Agrar-Unternehmern - all das fordert Platz. Und für den sorgen die "Paras".
Erazo geht nur mit Bodyguards in die besonders sensiblen Regionen des Landes, immer wieder erhält sie Morddrohungen. Meist sind die Absender paramilitärische Gruppen, die nun "kriminelle Banden" heißen, weil es Paramilitarismus in Kolumbien offiziell gar nicht mehr gibt. Ein tödlicher Irrtum der Regierung. "Wir sind gerade einmal ein paar Schritte auf einem sehr langen Weg gegangen", sagt Erazo. Es ist ihr gelungen, auf juristischem Wege bereits Land zurück zu gewinnen, das den Opfern geraubt wurde. Dafür bezahlt sie einen hohen Preis: Sie muss jederzeit damit rechnen, von den Profiteuren des jahrzehntelangen Bürgerkrieges selbst aus dem Weg geräumt zu werden.
An die Ränderder Gesellschaft gehen
Mit dieser Angst muss Shakira nicht leben. Zugegeben, der blonde Superstar aus Barranquilla war zuletzt nicht mehr ganz so häufig in Kolumbien, sondern an der Seite von Ehemann und Fußballprofi Gerard Piquet in Barcelona. Doch was die aus der brütend heißen Küstenstadt Baranquilla im Norden stammende Sängerin für ihr Land leistet, ist bemerkenswert. Seit gut einem Jahrzehnt steckt Shakira viel Geld in soziale Projekte, stellt hochmoderne Schulkomplexe in Elendsquartieren auf. Von Shakira stammt der oft wiederholte Satz: "Wenn ich in diese Augen blicke, dann sehe ich ein unglaubliches Potenzial." Mittlerweile sind es mehr als 8000 Schulkinder, die in den Armenvierteln Kolumbiens eine erstklassige Ausbildung genießen. 8000 Kinder mehr, die mit einer echten Perspektive ins Leben gehen, das sind 8000 potenzielle Guerillakämpfer, Paramilitärs und Drogendealer weniger. "Fundación pies descalzos" heißt ihre Stiftung. Bei Werbeverträgen achtet sie darauf, dass die Einnahmen nicht auf ihr Privatkonto, sondern direkt in die Stiftung eingezahlt werden. Wer Shakira in Quibdo oder in Barranquilla erlebt hat, wo sie die Leidensgeschichten der von ihrem Land vertrieben Familien anhört, weiß, dass das Engagement für die Kolumbianerin mehr ist als nur ein Marketinginstrument.
Die Regierung in Bogotá führt seit drei Jahren Friedensverhandlungen mit den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (Farc), der mit geschätzten 7000 Kämpfern größten linken Guerillaorganisation des Landes. Bis zum 23. März 2016 soll der Friedensvertrag in Havanna unterzeichnet werden. Damit würde der längste bewaffnete Konflikt Lateinamerikas, an dem auch andere linke Rebellengruppen, ultrarechte Paramilitärs und Drogenhändler beteiligt sind, enden. Zuletzt schafften die beiden Konfliktparteien mit der Einigung auf eine juristische Aufarbeitung des seit mehr als einem halben Jahrhundert tobenden Konflikts einen Durchbruch.