Abschiebungen nach Afghanistan: Österreich bleibt bei bisheriger Praxis, NGOs fordern Abschiebestopp.
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Wien. "Ich habe erfahren, dass du christliche Bücher liest und solche Kurse besuchst. Außerdem hast du auf Facebook einige Fotos veröffentlicht, wo du bei einem Weihnachtsbaum stehst. Diese Bilder wurden in unserer Gegend gesehen und die Opposition hat es auch mitbekommen. Sie sind auf mich und dich böse und bedrohen mich andauernd. (...) Komm nicht hierher, sonst bringen sie dich um."
Diese Zeilen sind ein Auszug aus einer E-Mail, die Abdul G. am 25. Mai von seinem Bruder aus Kabul bekommen hat. "Die Opposition", damit sind die afghanischen Taliban gemeint, der sich auch Teile von G.s Familie angeschlossen haben. Im November 2015 kam der 23-jährige Afghane nach Österreich und stellte einen Asylantrag, der in zweiter Instanz im März 2017 vom Bundesverwaltungsgericht abgelehnt wurde. Und das, obwohl G. als Unteroffizier beim afghanischen Militär diente. Armeeangehörige tragen laut einer 2016 erlassenen UNHCR-Richtlinie ein besonderes Risiko, Opfer von Anschlägen zu werden. Dieser muss auch laut dem Verwaltungsgerichtshof "besondere Beachtung" geschenkt werden.
Vergangenen Mittwoch wurde G. zusammen mit 16 anderen afghanischen Staatsbürgern in einer Frontex-Maschine zurück nach Afghanistan gebracht - in das Land, in dem ihm der Tod droht. G. beschäftigte sich in Österreich intensiv mit dem Christentum und beabsichtigte, sich taufen zu lassen. Für lokale Imame ein Grund, seinen Tod zu fordern.
Zur Zeit befindet sich G. in einer speziellen, temporären Unterkunft in Afghanistan. Noch in Österreich hatte G. zwei Mal versucht, sich das Leben zu nehmen, Ärzte attestierten ihm latente Suizidgefahr. Er nimmt starke Antidepressiva.
Einzelfallprüfungen bleiben
"Wir machen uns wirklich große Sorgen um ihn", sagt Rick Reuther, G.s Betreuer vom Verein Asyl in Not, zur "Wiener Zeitung". Asyl in Not telefonierte am Freitagmittag mit G., dieser habe panische Angst, Opfer eines Taliban-Anschlags oder einer Racheaktion aufgrund seines Abfalls vom Islam zu werden.
Bis zuletzt hatten Reuther und das Team von Asyl in Not alles versucht, um G.s Abschiebung zu verhindern. Ein am 30. Mai eingebrachter Folgeantrag auf internationalen Schutz wurde noch am Dienstag abgelehnt, eine beigebrachte Stellungnahme sei seitens des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl nicht berücksichtigt, sagt Reuther. Stattdessen habe es Häme gegeben. Auch er würde behaupten, sich umbringen zu wollen, wäre er Afghane, soll der entscheidende Beamte lachend am Telefon gesagt haben, behauptet Reuther: "Ihr Klient wird im Flieger sitzen, das verspreche ich ihnen."
Am Tag seiner Ankunft in Kabul forderte ein erneuter Anschlag der Taliban nahe dem Diplomatenviertel der afghanischen Hauptstadt mehr als 90 Todesopfer. Für die deutsche Regierung in Berlin ein Grund, Abschiebungen nach Afghanistan vorerst auszusetzen - nur Straftäter und islamistische Gefährder werden zurückgebracht. In Österreich aber gehen die Uhren anders. "An der Praxis ändert sich aktuell nichts", sagt Karlheinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums (BMI). Man setze weiter auf Einzelfallprüfungen.
Wann aber wird einem negativ beschiedenen und berufenden Asylwerber Aufschub oder ein Bleiberecht gewährt? "Der Person muss jedenfalls eine konkrete Gefahr im Heimatland drohen", so Grundböck. Alle Eingaben der Berufenden würden im behördlichen Verfahren, so weit es geht, objektiviert. Zu Einzelfällen aber könne er nicht Stellung nehmen, bittet Grundböck um Verständnis. Afghanen würden allerdings vom Asylwesen sehr differenziert behandelt werden, das zeige schon allein die Statistik. Im vergangenen Jahr hätten 30 Prozent der afghanischen Asylanträge mit einem Bleiberecht geendet. Afghanen würden sowohl Asyl als auch subsidiären Schutz oder ein humanitäres Bleiberecht erhalten, sagt Grundböck. Im vergangenen Jahr seien 1094 Afghanen außer Landes gebracht worden, von Jänner bis April 2017 waren es 309.
"Asylverfahren sind immer Einzelfallprüfungen", entgegnet Herbert Langthaler von der Asylkoordination. Generell sei zu sagen, dass Afghanen durchaus mehrheitlich Schutz in Österreich erhalten. Das Jonglieren mit Statistiken und Zahlen hält er für ein Verwirrspiel. Es sei immer fraglich, ob Folgeanträge und deren Ausgang in die genannten Zahlen einfließen würden. Die Lage in Afghanistan sei völlig außer Kontrolle geraten, warnt Langthaler. Die Asylkoordination fordert deshalb den sofortigen Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan. Bereits negativ beschiedene Fälle, in denen erneut Anträge gestellt wurden, sollten nochmals geprüft werden. Die Chancen des jungen Afghanen G., aus dem Lager in Kabul nochmals zurück nach Österreich zu kommen, hält Langthaler für gering. Dennoch glaubt er, dass angesichts der Lage vor Ort in den kommenden Wochen und Monaten von weiteren Abschiebungen Abstand genommen werde.
Jesiden-Aktion auf Eis
Fraglich ist indes auch die Umsetzung eines einstimmigen Beschlusses der Asylsprecher der Bundesländer, in einer Sonderaktion 300 jesidische Frauen und Kinder nach Österreich zu holen. Der zuständige Außenminister Sebastian Kurz will hierzu keine Stellungnahme abgeben. Die jesidische Minderheit im Nordirak wurde Opfer eines Massenmordes.