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"Kommen mit Spritzen nicht nach"

Von Petra Tempfer

Wissen

Patienten kamen lange vor Öffnung der Impfstraßen. | "Impfstoff wird trotz des großen Andrangs reichen." | Wien. "Bitte mehr rechts halten, sonst kommen die anderen Patienten nicht mehr durch", ruft Marie-Luise Willner, Oberschwester des Gesundheitszentrums (GZ) Wien-Mariahilf, in die Menge: Vor ihr schart sich eine Menschenschlange, die minütlich länger wird. Sie alle sind zum Start der Schweinegrippe-Impfaktion am Montag gekommen, um sich gegen das Virus A(H1N1) immunisieren zu lassen. | Dossier: Was ist die Schweinegrippe?


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"So einen Ansturm hätten wir nicht erwartet", meint Willner, zur Seite gewandt, gegenüber der "Wiener Zeitung". Obwohl sie "sicherheitshalber schon um 5.15 Uhr da war" - und prompt vom ersten Impfwilligen, einem Pensionisten, empfangen wurde. "Beim Aufsperren um 7 Uhr hatte sich schon eine bunt gemischte Menschentraube gebildet", fährt die Oberschwester fort - innerhalb der ersten zwei Stunden wurden 148 Dosen verabreicht. "Wir kommen mit Aufziehen und Spritzen nicht mehr nach."

Laut Andrea Riedel, Sprecherin der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), wird bis zur Schließung der fünf Impfstraßen der WGKK mit 2750 Patienten gerechnet. In Wien stehen insgesamt 21 Impfzentren zur Verfügung - in den am Montag fünf geöffneten Stellen der MA15 zählte man 1300 Personen.

Impfstoff-Engpässe wird es trotz des großen Andrangs laut Gesundheitsministerium-Sprecher Thomas Geiblinger keine geben. "Aktuell haben wir eine Million Impfdosen, die für 500.000 Menschen reichen", erklärt dieser, "jede Woche bekommen wir eine Neulieferung von 200.000 Dosen." Eine Dosis koste dem Staat 6,5 Euro.

Eine Stunde Wartezeit

Am Montag ist man jedenfalls auch im GZ Wien-Mitte mit einer Menschenschlange konfrontiert. "Wir mussten nachträglich Absperrbänder aufstellen, damit es nicht drunter und drüber geht", sagt Oberschwester Gerlinde Hofbauer. Unter den Patienten macht sich bereits Ungeduld breit. "Da muss man ja arbeitslos sein, so viel Zeit kostet das", meint etwa ein Mann mittleren Alters, während sich eine ältere Frau dahinter echauffiert: "Ich warte seit einer Stunde, jetzt geh ich wieder." Eine Reaktion, die zu einem Chaos in der Organisation führen könnte. "Wenn die Patienten erst am nächsten Tag wieder kommen, stimmt die Kassa nämlich nicht", erklärt Schwester Judith Pollak vom GZ Wien-Mitte.

Vor Ort müssen während der Impfaktion, die laut Gesundheitsministerium bis auf Weiteres verlängert worden ist, 4,9 Euro respektive 8 Euro (nicht Krankenversicherte) bezahlt werden. Geimpft würde prinzipiell jeder, der sich mit E-Card und Impfpass anmeldet. Außerdem liegt ein Fragebogen auf, der den Arzt über Krankheiten informiert: Chronisch Kranken wird laut Alfred Altenriederer, der neben einem weiteren Arzt und zwei Schwestern in Wien-Mariahilf im Einsatz ist, die Impfung empfohlen, wie auch Frauen ab der 17. Schwangerschaftswoche.

Kinder unter 15 Jahren sollten eigentlich an den Wiener Elternberatungsstellen geimpft werden. Am Montag hatten allerdings nur vier der insgesamt 13 geöffnet - weshalb Altenriederer Ausnahmen macht und somit auch der 11-jährige Daniel den Oberarm freimachen muss. Für seine junge Mutter war der erste Todesfall in Österreich ausschlaggebend, in die Impfstraße zu kommen. "Tut das eh nicht weh?", jammert Daniel und ahnt offenbar noch nicht, dass ihm in drei Wochen die zweite Teilimpfung blüht.

"Zu wenig erprobt"

"Der Impfstoff Celvapan, der abgetötete Erreger enthält, schützt in zehn Tagen bis zu 90 Prozent vor einer Ansteckung, nach der zweiten Teilimpfung ist man voll geschützt", erklärt Altenriederer, "und auch die Nebenwirkungen wie etwa Kopfschmerzen sind schwach."

Diese positiven Aussichten werden von dem Wiener Kinderarzt Reinhard Mitter nicht geteilt. "Erst nach sechs Wochen besteht ein fraglich guter Schutz", kontert dieser, "außerdem wurden der Impfstoff und seine Nebenwirkungen nicht entsprechend untersucht." Die Angst innerhalb der Bevölkerung vor allem Neuen, Ungewissen würde ausgenutzt: "Geschäft geht hier vor Wissenschaft."

WissenIn Österreich fiel zwar erst eine Person dem Schweinegrippe-Virus A (H1N1) zum Opfer, die Zahl der Neuinfektionen ist jedoch gestiegen: Laut Gesundheitsministerium sind seit dem Ausbruch der Krankheit im April 761 Erkrankungen gemeldet worden, wobei Wien mit 212 Fällen führt. Gleich dahinter liegt Salzburg mit 110 Infektionen, gefolgt von Niederösterreich mit 100 erkrankten Personen.

Aus Sicherheitsgründen wurden am Montag weitere Schulen in Österreich gesperrt: Auf eine am 27. Oktober in Osttirol geschlossene Schule folgten eine in Vorarlberg sowie die Wiener Privatvolksschule "St. Thekla" in Wien-Wieden. Hier hatte es rund zwei Dutzend Erkrankungen gegeben. Außerdem wurden in der Stadt Salzburg zwei Schulklassen gesperrt, weil jeweils die Hälfte der Kinder erkrankt war.

Weltweit hat die Zahl der Schweinegrippe-Todesfälle die Sechstausender-Marke überschritten. Bis 1. November starben mindestens 6071 Menschen an dieser Infektion, wie die Weltgesundheitsorganisation mitteilte. Die meisten Menschen starben in Nord- und Südamerika.