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Kommentar: Die Wahrheit fällt zuerst

Von Rainer Mayerhofer

Politik

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Seit einer Woche tobt jetzt der Krieg im Irak und hat auf beiden Seiten schwere Opfer gefordert, wobei jede Seite die Verluste des Gegners höher und die eigenen niedriger angibt als die jeweilige Andere. Aber das ist man ja auch schon von früheren Kriegen gewohnt. Die Wahrheit zählt in der Kriegsberichterstattung immer zu den ersten Gefallenen.

Dass die freie Meinungsäußerung auch in diesem Krieg unter den ersten Opfern ist, wurde in dieser Woche bereits deutlich. Zuerst warfen die Irakis, an deren Demokratieverständnis zurecht gezweifelt werden darf, die Mitarbeiter des amerikanischen Nachrichtensenders CNN hinaus - angesichts der militärischen Stärkeverhältnisse ein eher vorübergehendes Phänomen: CNN wird bald wieder direkt aus Bagdad berichten können und sich dann mit der amerikanischen Militärzensur herumschlagen dürfen.

Weil aber die Irakis mit ihren Fernsehbilder von den ersten amerikanischen Kriegsgefangenen, die dann von Al Jazeera in alle Welt gesendet wurden, einen wichtigen Propagandaerfolg erzielen konnten, lag es nur in der beschränkten Kriegslogik, den Bagdader Fernsehsender mit ein paar Bomben - kurzfristig - außer Betrieb zu setzen. Und ganz zufällig hat man in der New Yorker Börse plötzlich keinen Platz mehr für die Reporter von Al Jazeera. Aber das soll mit der Berichterstattung dieses Senders aus dem Irak nichts zu tun haben. Wer's glaubt wird selig, wer's nicht glaubt, ist klüger.

In den USA, die die Meinungs- und Pressefreiheit bisher immer so hoch eingestuft haben, dass sogar die miesesten Nazipamphlete verbreitet werden durften, die im "Alten Europa" unter den Begriff "Auschwitzlüge" gerichtlich verfolgt würden, muss man plötzlich mit Kritik ganz leise sein. Es soll schon schwarze Listen für unbotmäßige Künstler geben und demokratische Politiker, die gegen den Krieg sind, werden als unpatriotisch gebrandmarkt. In Großbritannien wiederum dürfen Videoclips und Hits, in denen Reizworte wie Krieg oder Bombe vorkommen, nicht mehr gespielt werden - wohl weil sie von der Wirklichkeit weit übertroffen werden. (Und da haben wir uns vor kurzem noch über China mokiert, wo die Rolling Stones einige ihrer bekanntesten Hits bei einem Konzert nicht singen dürfen.)

Als der oscargekrönte Dokumentarfilmer Michael Moore in Hollywood pointiert seine Meinung über Bushs Irak-Politik geäußert hat, haben ihn vielleicht kurzfristig die Posaunen des Orchesters übertönt - aber gerade deshalb wurde er in der ganzen Welt gehört. Denn die Wahrheit feiert - auch wenn sie kurzfristig unterdrückt wird - letzten Endes doch immer wieder Auferstehung.