Mit seinem heutigen Lokalaugenschein am Brenner will EU-Verkehrskommissar Jacques Barrot die Priorität des geplanten Basistunnels unterstreichen und Schritte zur Beschleunigung des Projekts ausloten. Auf der Wunschagenda seiner österreichischen Gesprächspartner steht vor allem ein Kompromiss über die von Brüssel als nicht EU-konform gerügte Mautpraxis.
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In einem Punkt gibt es Einigkeit zwischen Österreich und der EU-Kommission. Der Brennerbasistunnel hat zur Entlastung des Transits per Straße höchste Priorität. Im Rahmen des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN) gehört er zu einem der 30 vorrangigen Vorhaben in Europa. Dass der erste Lokalaugenschein Jacques Barrots bei einem TEN-Projekt dem Brenner gelte, unterstreiche dessen Stellenwert, heißt es aus dem Büro des Verkehrskommissars. 2015 soll die Eisenbahn-Alpentransversale in Betrieb gehen.
Darüber hinaus gibt es recht unterschiedliche Ansätze. Tirol wartet seit zehn Jahren auf eine Wegekostenrichtlinie; ein sektorales Fahrverbot von Lkw, die Müll und Schrott durch Europa transportieren, wurde von der Kommission gestoppt. Gegen Österreich läuft eine Klage wegen der nicht EU-konformen Höhe der Lkw-Maut über den Brenner. Die Höhe der von Brüssel in Aussicht gestellten Kofinanzierung des laut Verkehrsminister Hubert Gorbach rund neun Milliarden Euro teuren Tunnel-Projekts ist noch nicht geklärt.
Bereits jetzt sei die Brennermaut deutlich günstiger als etwa die Fahrt über den Schweizer Gotthard-Pass, argumentieren die Österreicher. 45 Prozent spart demnach ein 40-Tonner beim Transit durch Tirol. 163 Euro verlangen die Schweizer, 91 ist der heimische Preis. Eine weitere Absenkung der Maut, wie es die EU-Kommission verlangt, sei eine Diskriminierung eines Mitgliedslandes gegenüber einem Nicht-Mitgliedsland und stelle darüber hinaus die Wirtschaftlichkeit des geplanten Eisenbahntunnels in Frage.
Die EU bestehe nun einmal aus 25 Ländern mit sehr unterschiedlichen geographischen Gegebenheiten, erklärte gestern ein Sprecher Barrots. Diese Realität verlange von den Mitgliedsstaaten im Sinne des freien Waren- und Personenverkehrs gewisse solidarische Kraftanstrengungen. Im Gegenzug ist Europa solidarisch mit den so genannten Transit-Ländern. Diese drücke sich in der finanziellen Förderung effizienter Infrastruktur aus EU-Geldern aus.
In Ausnahmefällen können bis zu 50 Prozent der Gesamtkosten bei grenzüberschreitenden Verkehrsprojekten von Brüssel gedeckt werden. Das treffe grundsätzlich auf den Brenner zu, hatte Barrot in Aussicht gestellt. Allerdings müsste Österreich sein striktes Beharren auf maximal ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts als EU-Beitrag überdenken. Den Vorschlägen der Kommission liegen Beiträge von 1,14 zugrunde.
An dem Treffen mit Barrot werden die Verkehrsminister Gorbach und Pietro Lunardi für Italien sowie der Tiroler Landeshauptmann Herwig von Staa und sein Südtiroler Kollege Luis Durnwalder teilnehmen. Während die Österreicher auf "kreative" Lösungen zur "größtmöglichen Beibehaltung der Maut" hoffen, setzt Barrot auf Fortschritte beim Tunnel-Projekt. Dies dürfte auch in Lunardis Interesse sein. Seine Firma ist auf Tunnelbau spezialisiert.