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Kommission der real existierenden Widersprüche

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Ein Este koordiniert den machtbewussten Deutschen, ein Lette und ein Finne haben ein Auge auf den stolzen Franzosen. Und über allen thront ein Luxemburger, dessen rechte Hand ein Niederländer ist.

Würde das Organigramm der neuen EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker die realen Machtverhältnisse widerspiegeln, Europa hätte zumindest eine Revolution von den vielen, die es brauchen würde, geschafft: die Nivellierung nationaler Machtansprüche in Belangen der europäischen Angelegenheiten.

Aber Organigramme sind geduldig, über die realen Machtverhältnisse in Brüssel sollte sich niemand irgendwelchen Illusionen hingeben, Juncker weiß das selbst am besten; er hat allerdings auch erlebt, wie einer aus einem kleinen Land an großen Rädchen in Europa drehen kann.

Die widersprüchliche, ja spannungeladene Realität Europas zeigt sich in der Besetzung zweier Schlüsselressorts: Mit dem Briten Jonathan Hill übernimmt ein Euro-Skeptiker den wichtigen Bereich der Finanzmärkte; und ausgerechnet der Franzose Pierre Moscovici, dessen Land die Defizitkriterien noch auf Jahre hinaus glorios verpasst, wird neuer Wirtschafts- und Währungskommissar.

Das schreit förmlich nach Sprüchen, die den Bock als Gärtner sehen, aber Europa besteht nicht nur aus Integrationsenthusiasten und Defizitallergiker. Und womöglich entfaltet es ja tatsächlich eine wundersame Wirkung, wenn den Franzosen ein Landsmann, noch dazu ein Linker, die Vorteile von Strukturreformen und Budgetdisziplin vermittelt. Es ist, zumal in bürokratischen Strukturen, das Amt, das die Persönlichkeit prägt, nicht umgekehrt - was oft genug ein wirklicher Jammer ist.

Der Österreicher Johannes Hahn findet sich mit dem Portfolio Nachbarschaft und Erweiterungsfragen (obwohl feststeht, dass es in den kommenden fünf Jahren keine Erweiterung geben wird) an einer strategischen Schlüsselstelle für Europa wieder. Neben dem Balkan geht es dabei vor allem um die geopolitischen Krisenherde Ukraine und Kaukasus. Wie die Zukunft dieser drei Regionen ausschauen wird, ist eine der wenigen wirklichen Kerninteressen Österreichs. Ein für die EU wie Österreich enorm wichtiges Ressort - spannend und sehr, sehr schwierig.