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Kommt Bewegung in die Sicherheitspolitik?

Von Gerald Mader

Politik

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Der Boden der traditionellen, den Denkstrukturen des Kalten Krieges verhafteten militärischen Sicherheitspolitik zeigt die ersten Risse. In Österreich forderte Heide Schmidt, die Chefin des

Liberalen Forums, die Abschaffung des Bundesheeres. In Deutschland erklärte der neue Außenminister Joschka Fischer die Abschreckungsstrategie (atomarer Erstschlag) für überholt, womit er auf den

sofortigen Widerspruch der Atommächte USA, Großbritannien und Frankreich stieß.

Mehr Zustimmung dürfte er mit seiner Forderung bekommen, NATO-Militäreinsätze außerhalb des Territoriums der Mitgliedsländer an den Standard von UNO und OSZE, sohin an ein UNO-Mandat zu binden. "Am

UNO-Gewaltmonopol, einem der größten Fortschritte der Zivilisation, müssen wir festhalten", formulierte es Günter Verheugen im deutschen Außenministerium. Sind das nur Irritationen und Wahlslogans

oder sind es Anzeichen für den Wandel einer militärischen Sicherheitspolitik, welche die veränderte Sicherheitslage nach Auflösung der Sowjetunion nicht zur Kenntnis nehmen will? Das atlantische

Bündnis unterhält eine Streitmacht, wie wenn ein neuer Weltkrieg mit einem atomaren Großfeind bevorstünde.

Die Idee, die nationalen Streitkräfte und damit auch das österreichische Bundesheer à la longue abzuschaffen, enthält eine friedenspolitische Botschaft, die von etwa 30 Prozent der österreichischen

Bevölkerung begrüßt werden dürfte. Da kein Nachbarstaat Österreich überfallen will, wird in Friedenszeiten ein stehendes Heer zur Verteidigung vielfach als problematisch empfunden.

Die Auffassung, daß anstelle der nationalen Armeen eine europäische Armee treten soll, ist nicht neu, da Adenauer und Monnet bereits 1952 über eine gemeinsame Armee (EVG) den europäischen

Einigungsprozeß herbeiführen wollten, wobei die EVG am französischen Parlament gescheitert ist. Auch heute wollen die größeren Nationalstaaten auf ihre nationalen Armeen nicht verzichten. Zum

Unterschied von 1952 gibt es heute aber einen europäischen Einigungsprozeß, der schon sehr weit fortgeschritten ist, sodaß der Druck zur Vergemeinschaftung ganz generell wächst. Mit der Einführung

des Euros wurde jedenfalls der Rubikon staatlicher Unabhängigkeit überschritten, sodaß es für Anhänger einer europäischen Finalität nur konsequent ist, auch in der Sicherheitspolitik zumindest mittel-

bis langfristig auf diese Unabhängigkeit zu verzichten. Die entscheidende Frage muß jedoch sein, welchen politischen Zielen europäische Streitkräfte dienen sollen, welche militärische Aufgaben sie

wahrnehmen und welchen Umfang sie haben sollen.

Die Schaffung einer europäischen Armee, die sich als Militärinstrument für eine hegemoniale Weltmacht Europa verstünde, hieße den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Dieser hegemonialen Versuchung

zu widerstehen gehört zu den Aufgaben einer europäischen Friedenspolitik. Dies wird aber für viele kein Hindernis sein, schon aus taktischen Gründen die Forderung nach Abschaffung des

österreichischen Bundesheeres zu unterstützen.

Die Frage nach den Zielen und Aufgaben stellt sich auch für die NATO, da die NATO-Politiker bisher jede Diskussion über Ziele und Zukunft der NATO, ganz zu schweigen von den Divergenzen innerhalb der

NATO bzw. zwischen USA und den Europäern, vermieden haben. Auch hier gilt: Je weiter der Amsterdamer Vertrag umgesetzt wird, umso mehr brechen die offenen und strittigen Fragen, hinter welchen sich

unterschiedliche Ziele, Interessen und Politikverständnisse verbergen, auf. Auf Dauer werden sich die Regierungen der NATO-Länder über die offenen Probleme und Konflikte nicht hinwegschwindeln

können.

Es geht hierbei um Grundorientierungen, welche Struktur und Reform der NATO betreffen, deren Konfliktstoffe stichwortartig angesprochen werden sollen. Soll die NATO ein System der kollektiven

Verteidigung bleiben oder ein System der kollektiven Sicherheit werden? Soll die Osterweiterung fortgesetzt werden? Mit oder ohne Rußland? Soll die NATO auf europäische Einsätze beschränkt werden

oder weltweit militärisch zum Einsatz kommen? NATO als Instrument globaler Machtprojektion? Braucht die NATO für militärische Einsätze ein UNO- bzw. OSZE-Mandat oder kann sie unabhängig von UNO-

Satzung und Völkerrecht agieren?

Soll die Beistandspflicht bei Interventionen durch ad hoc Koalitionen ersetzt werden? Geopolitik ja oder nein? Wie soll der Widerspruch zwischen der politischen und militärischen Dominanz der USA und

dem Ausbau einer eigenständigen europäischen Außen-und Sicherheitspolitik (GASP) gelöst werden? Wie kann der Konflikt um die Doktrin der atomaren Abschreckung (Verzicht auf den Ersteinsatz von

Atomwaffen) gelöst werden? Wie sollen die Aufgaben und Verantwortung, vor allem die Kosten, unter den alten und neuen Mitgliedern verteilt werden? Soll die Überfinanzierung der militärischen Mittel

fortgesetzt werden oder ein drastischer Abrüstungsprozeß eingeleitet werden? Welchen Einfluß sollen die NGO's auf die Sicherheitspolitik bekommen? Diese Frageliste ließe sich weiter fortsetzen.

Die Interessenskonflikte, die sich aus diesen ungelösten Problemen ergeben, werden unabhängig von den geänderten Machtverhältnissen in Deutschland zunehmen. Diese Realität wird die Sicherheitspolitik

der NATO und der EU bestimmen und in Bewegung bringen, auch wenn sich alle zur atlantischen Partnerschaft bekennen. Diese Partnerschaft einschließlich der Stationierung von US-Truppen in Europa wird

aber nur von Dauer sein, wenn sie von allen Beteiligten weiterhin als vorteilhaft empfunden wird. Dies wird nur der Fall sein, wenn die aufgezeigten Probleme und Konflikte für alle Beteiligten

zufriedenstellend gelöst werden können. Hierbei geht es um die Interessenskonflikte, die zwischen amerikanischer Hegemonialpolitik, europäischer Integrationspolitik und dem Friedensverständnis einer

wachsenden Zivilgesellschaft bestehen. Eine echte Aufklärung über das Thema NATO-Beitritt ja oder nein müßte diese Fragen ansprechen.

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Gerald Mader ist Präsident des Österreichischen Friedenszentrums Burg Schlaining.