Berlin - Die deutsche Regierung will in Sachen EU-Beitritt der Türkei jetzt ernst machen. Gestern trafen sich Kanzler Gerhard Schröder und sein französischer Amtskollege Jacques Chirac in der Brandenburger Kleinstadt Storkow, um das Gesicht Europas nachhaltig zu verändern.
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Schröder kündigte bereits vor dem Treffen an, es gehe um nichts weniger als eine "Anbindung der Türkei an den Westen". Das heißt im Klartext: Der Türkei soll auf dem EU-Gipfel nächste Woche in Kopenhagen eine Perspektive für den Beitritt zur EU gegeben werden. Was Berlin laut deutscher Tageszeitung "Die Welt" anstrebt, ist die Nennung eines Datums, an dem ein Datum für den Beginn von Beitrittsgesprächen genannt wird.
Schröders Kalkül
Bei dem gestrigen Treffen mit Frankreichs Präsident Jacques Chirac in Storkow ging es darum, eine gemeinsame deutsch-französische Position zu finden. Das Kalkül Schröders dabei liegt klar auf der Hand: Übernehmen die beiden mächtigsten EU-Länder in Sachen türkischer EU-Beitritt die Führungsrolle, dann werden die übrigen Länder wohl oder übel mitziehen müssen. Zwar gibt es innerhalb der EU massiven Widerstand gegen die Aufnahme der Türkei in die Union: Allen voran sprachen sich Konventspräsident Giscard d' Estaing und die Konservativen im EU-Parlament vehement gegen einen solchen Schritt aus. Andererseits haben einige der "großen" Regierungschefs wie Großbritanniens Tony Blair und Italiens Silvio Berlusconi hier kaum Bedenken. Als erklärte Gegner einer Aufnahme von Verhandlungen mit den Türken gelten Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und der luxemburgische, christdemokratische Premier Jean-Claude Juncker.
Sollte es wirklich zur Nennung eines Datums oder eines Datums für die Nennung eines Datums für den Verhandlungsbeginn kommen, dann steht einigermaßen sicher fest, dass ein türkischer EU-Beitritt unausweichlich würde. Denn es ist kaum möglich, dass sich Beitrittsverhandlungen ewig hinziehen oder gar scheitern.
Dass es zu diesem "point of no return" kommt, will unter anderem die deutsche CDU/CSU- Opposition verhindern. Die EU müsse sich Klarheit über ihre Grenzen verschaffen und den Türken statt einer Mitgliedschaft eine privilegierte Partnerschaft anbieten, heißt es von dieser Seite.
Auch die deutsche Bevölkerung ist gespalten: Bei einer gestern veröffentlichten Umfrage im Auftrag des Magazins "Stern" sprachen sich 46 Prozent gegen eine Aufnahme der Türkei aus, 42 Prozent waren dafür.