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Kommt die Blockchain-Revolution?

Von Matthias Punz

Wirtschaft

Die Technologie hinter Bitcoin könnte unsere Wirtschaft gehörig umkrempeln.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Der Hype um Bitcoins und andere sogenannte Kryptowährungen ist ungebrochen: Hat man Ende vergangenen Jahres ungefähr 900 US-Dollar für einen Bitcoin ausgezahlt bekommen, so wurde vor wenigen Wochen schon die Schwelle von 4000 US-Dollar geknackt. Unabhängig von der Massentauglichkeit solcher Währungen: Die dahinterstehende Blockchain-Technologie birgt revolutionäres Veränderungspotenzial.

Am Anfang stand dabei Idealismus. Im Jahr 2008 wurde die Idee von Bitcoins geboren. Dahinter steckte ein Pseudonym namens "Satoshi Nakamoto". Ob es sich dabei um eine (reale) Person oder ein Kollektiv handelt, ist nicht bekannt. Der Grundgedanke war, eine digitale Währung zu schaffen, die unabhängig von Zentralbanken und Staaten existiert. Ein dezentrales Geldsystem, das ohne lästige Vermittler wie Banken auskommen soll. Niemand greift regelnd ein, die Nutzer agieren anonym und selbständig miteinander. Angebot und Nachfrage allein bestimmen den Wert. Eine Anarcho-Währung sozusagen. Schnell fanden Bitcoins auch Nachahmer: Die Website coinmarketcap.com listet derzeit schon weit über 800 existierende Kryptowährungen. Notenbanken und große Bankhäuser tüfteln längst selbst schon an eigenen Digitalwährungen.

Ursprüngliche Idee (vorerst) gescheitert

Dem aktuellen Hype entgegen werden der eigentliche Zweck und die Idee hinter den Kryptowährungen bis jetzt jedoch nicht wirklich erfüllt: Nämlich, dass diese Währungen ernsthafte Zahlungsalternativen werden. Im vergangenen Jahr hat mit der Gemeinde Zug in der Schweiz die erste Stadt weltweit Bitcoins als offizielles Zahlungsmittel akzeptiert. Nicht einmal in "Crypto Valley", wie sich die Stadt selbst nennt, spielt die Digitalwährung wirklich eine Rolle. Nur 40 Bitcoin-Transaktionen gab es seit der Bekanntgabe der Akzeptanz vonseiten der offiziellen Stellen der Stadt im Juli 2016, so die Auskunft des städtischen Pressesprechers.

In Wien kann man laut einer Auswertung auf coinmap.org an 60 Standorten mit Bitcoins bezahlen. Gelistet sind einzelne Ärzte oder Lokale. Auch ein Zauberkünstler ist zu finden. Eine ähnliche Größenordnung gilt für andere Großstädte wie Berlin, London oder Paris. Mit diesen Währungen wird zurzeit vielmehr spekuliert und auf weitere Kursgewinne gesetzt, als dass sie eine tatsächliche Zahlungsalternative darstellen.

Blockchain-Technologie als Innovation

Das größte Potenzial steckt aber sowieso in der technischen Basis, auf der diese Währungen fußen: die sogenannte Blockchain-Technologie, einer der derzeit größten Hypes in der Technik- und Finanzwelt. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes dezentrales Register. Einträge wie zum Beispiel Überweisungen müssen nicht - wie normal üblich - in eine zentrale Datenbank getätigt und dort verwaltet werden. Die Blockchain ist ein System von verschiedenen zusammenhängenden Knotenpunkten - ähnlich einer Kette. Jeder dieser Knoten ist ein Datenblock, daher auch der Name. Übersetzt würde man also von einer Blockkette sprechen.

Noch einfacher gesagt: Man kann sich die Blockchain auch als ein Kassenbuch vorstellen, in das neue Positionen eingetragen werden, sobald ein Absender und ein Empfänger etwas transferieren. Dieses Kassenbuch liegt aber nicht in irgendeiner Schublade, sondern jeder User kann die exakt gleiche Ausführung auf seinem Rechner abrufen. Das System gilt - vor allem im Vergleich zu anderen Systemen - nahezu als fälschungssicher. Jede Zeile bleibt für immer und unveränderlich in diesem weltweit vernetzten und intelligenten Kassenbuch stehen. Die Blockchain wird als Revolution digitaler Infrastruktur gehandelt, da so die Unveränderbarkeit von Daten sichergestellt sein soll und Datentransaktionen ohne Dritte durchgeführt werden können. So werden auch Echtzeit-Transaktionen möglich.

"Intelligente" Verträge als Zukunftsmusik

Diese Technologie kann daher auch in ganz anderen Bereichen eingesetzt werden. Viele sehen in der Blockchain den nächsten großen Digitalisierungsschritt. In Honduras wird beispielsweise basierend darauf ein Grundbuchsystem betrieben. Auf der Isle of Man ein Handelsregister unterhalten. Manche träumen auch schon von E-Voting oder anderen E-Government-Aktivitäten auf Blockchain-Basis. Dies sind erst Einzelbeispiele, das Potenzial scheint jedoch riesig.

Es könnten alle möglichen Verträge in die "Sprache" der Blockchain übersetzt werden - man spricht hier von sogenannten "smart contracts". Der Fortschritt: Die beteiligten Akteure können sich sicher sein, dass alle Seiten stets über die genau gleichen Daten verfügen. So könnten Staaten von der Erfassung von Sozialleistungen bis zur Registrierung von Kraftfahrzeugen vollständig digitalisiert werden. Das spart Zeit und Geld, weshalb es für Unternehmen genauso interessant ist.

Erst vergangenes Wochenende hat das weltweit tätige Beratungsunternehmen Ernst & Young (EY) ein Car-Sharing-Konzept namens Tesseract auf Blockchain-Basis vorgestellt. Der Tourismuskonzern TUI plant seine gesamte Bettendatenbank in eine Blockchain hochzuladen, um weltweit schnell und unkompliziert Verfügbarkeitsdaten abrufen zu können. Reisegiganten wie Airbnb oder Booking.com soll so der Kampf angesagt werden.

Auch in der Musikindustrie könnten durch eine Blockchain Vermittler wie Plattenfirmen oder Manager umgangen werden und Künstler selbständig riesige virtuelle Plattenläden betreiben. Grammy-Gewinnerin Imogen Heap experimentiert hierzu etwa mit einer eigenen Plattform namens Mycelia.

Theoretisch könnte man in der Industrie 4.0 und dem prophezeiten "Internet der Dinge", in der alles und jeder - auch physische Objekte - miteinander vernetzt sein werden, in fast allen Bereich Anwendung für eine Blockchain finden.

Neue Technologie birgt Chancen und Risiken

Für Dirk Siegel vom Blockchain Institut der internationalen Beratungsfirma Deloitte führt jedenfalls kein Weg an der Technologie vorbei: "Wir glauben nicht, dass es sich um einen kurzfristigen Hype handelt, sondern, dass diese Technologie unsere Welt nachhaltig verändern wird. Es geht tatsächlich ums Eingemachte." Genau aus diesem Grund habe man auch ein eigenes Institut gegründet, das sich mit der Thematik beschäftigt. "Diverse Arbeiten von Notaren bis hin zu Grundbüchern oder allen Arten von Vertragsabschlüssen können vereinfacht, abgespeckt oder ganz obsolet werden", so Siegel. "Ich glaube vieles, was bei Blockchain passiert, kann man mit dem Beginn des Internets vergleichen. Es entsteht eine komplett neue Infrastruktur. Natürlich sind solche Entwicklungen im Zeitalter der Digitalisierung auch Herausforderungen." Was das für die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt bedeutet, ist schwer vorherzusagen. Den durch die Digitalisierung bedrohten Arbeitsplätzen stellt Siegel neu entstehende Jobs entgegen. "Es werden niedrigqualifizierte Arbeiten wegfallen, es können aber gleichzeitig auch neue höher qualifizierte Tätigkeiten entstehen. Kurzfristig kann das schwierig sein, aber bei solchen Entwicklungen handelt es sich um einen langfristigen gesellschaftlichen Wandel. Und da halten sich Chancen und Risiken die Waage."

Ist Blockchain nun technologischer Heilsbringer oder bloß eine Technologieblase? Das wird die Zukunft weisen.