Als beliebtester iranischer Oppositionsführer gilt Reza Pahlavi, der Sohn des Schah. Doch die Mullahs sind aufgrund ihrer grenzenlosen Skrupellosigkeit schwer zu Fall zu bringen.
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Die bisher größte Herausforderung des Regimes in Teheran wurde durch den gewaltsamen Tod der 22-jährigen iranischen Kurdin Mahsa Amini in Polizeigewahrsam im September 2022 ausgelöst. Bei Straßendemonstrationen kamen bisher 529 Demonstranten, darunter 70 Minderjährige, ums Leben. Im Jänner und Februar 2023 wurden laut Amnesty International mindestens 94 Menschen hingerichtet. Die massive Gewaltanwendung gegen die eigenen Bürger, die nachweislich physische Folter sowie auch Vergewaltigungen von Männern und Frauen (auch mit Knüppel und Flasche) miteinschließt, lässt die Machthaber zum skrupellosesten Regime der Welt werden.
Die Proteste sind zwar gegenwärtig abgeflaut, aber die Lage ähnelt einem Pulverfass, bei dem jederzeit die Revolte wieder angefacht werden kann. Der deutsch-iranische Politikwissenschafter Ali Fathollah-Nejad sieht die Schwächen der Bewegung "Frau, Leben, Freiheit" in quantitativen und qualitativen Defiziten. Mehr Menschen müssten sich den Demonstranten anschließen, parallel dazu müssten landesweite Streiks stattfinden. Eine der größten Leistungen dieser Revolte besteht darin, der Welt mehr denn je den exorbitant barbarischen Charakter der Mullahs offenbart und zu deren internationaler Ächtung beigetragen zu haben. Doch gewieft und machthungrig, wie das Regime ist, hat es nach innen wie nach außen zu trickreichen Ablenkungsmanövern gegriffen.
Nach innen hat die Islamische Republik die Giftanschläge auf Mädchenschulen durch fanatisch-religiöse Gruppen - im besten Falle - geduldet. Giftangriffe in 21 von 31 Provinzen des Landes mit einer solch hohen Anzahl an Opfern können nicht ohne staatliche Unterstützung vonstattengehen. Dafür spricht auch das lange Schweigen der Behörden. Die Botschaft, die dahintersteckt, lautet: Wenn es hart auf hart kommt, würden wir euch sogar mit chemischen Waffen attackieren, oder - im Falle der fanatisch-religiösen Extremisten als Drahtzieher - wenn wir gestürzt würden, würden Taliban-ähnliche Verhältnisse im Land herrschen.
Coup mit Saudi-Arabien
Nach außen ist den Mullahs mit der angekündigten Normalisierung der Beziehungen zum großen Rivalen Saudi-Arabien ein Coup gelungen. International und insbesondere auch von den Staaten am Persischen Golf wurde diese Annäherung, die durch die Vermittlung Chinas ausgehandelt wurde, begrüßt. Damit drehte das Regime, das sich international in einer Position der Schwäche befunden hatte, den Spieß um. Denn da dieser bedeutsame Deal geeignet erscheint, die Entspannung in der Region zu fördern und die Bedrohung der Interessen Saudi-Arabiens und anderer Scheichtümer zu verringern, ist es wahrscheinlich, dass die EU und die USA aufgrund ihrer ökonomischen und sicherheitspolitischen Interessen zurückhaltender auf die Proteste im Iran reagieren.
Sollten die Mullahs auch ihre extrem gefährlich gewordenen Nuklearaktivitäten, die sie sehr nahe an den Bau einer Atombombe gerückt haben - wiederum taktisch - zurückfahren und sich auf einen den Westen zufriedenstellenden Deal einlassen, ist die Bewegung "Frau, Leben, Freiheit" völlig auf sich alleine gestellt. Hinter den Kulissen laufen bereits Verhandlungen, auch für die Freilassung von drei US-Bürgern im Iran, die nicht ohne Gegenleistung abgewickelt werden wird. Irans Regime ist Weltmeister im Hinblick auf Täuschungen und Tricks. Es reicht Saudi-Arabien die Hand, nachdem 2016 aus einer Position der Stärke heraus die Botschaft und das Konsulat Saudi-Arabiens im Iran in Brand gesteckt wurden. Dass sich der Iran ausgerechnet in der Ära des Hardliner-Präsidenten Ebrahim Raisi in die Friedenstaube der Region verwandeln möchte, müsste den Westen nachdenklich stimmen.
Zerstrittene Opposition
Seit den Protesten im September tritt Reza Pahlavi, der Sohn des Schah, sympathisch und kompetent wie ein Staatsmann auf die weltpolitische Bühne. Zur Münchner Sicherheitskonferenz im Februar wurde er anstelle der iranischen Regierungsoffiziellen eingeladen. Die iranische Opposition im Ausland ist zerstritten. Laut seriösen Umfragen, etwa vom niederländischen Institut Gamaan, gilt der Ex-Kronprinz als beliebtester Oppositionsführer im In- und Ausland und setzt sich damit in den Umfragen mit großem Abstand von allen anderen Oppositionellen ab.
Der 62-Jährige, der sein Heimatland seit 1978 nicht gesehen hat, engagiert sich für eine säkulare Demokratie. Er beteuert, dass er selbst nie von einer Rückkehr auf den Thron geträumt habe und tritt dafür ein, dass die Iraner die Art ihrer Regierung (ob parlamentarische Monarchie oder Republik) selbst wählen müssten. Er sieht seine Hauptaufgabe darin, an der Abschaffung der Islamischen Republik mitzuarbeiten. Er distanzierte sich auch oft von Folter und manch unlauteren Praktiken der Ära seines Vaters.
44 Jahre nach der Revolution blicken viele Iraner nostalgisch auf die Ära des Schah zurück. Das gilt besonders für die iranische Jugend, die zwar die Monarchie nie erlebt hat, aber die im Vergleich zum Mullah-Regime glamouröse vorrevolutionäre Zeit aus der virtuellen Welt und aus Erzählungen kennt. Slogans auf den Straßen bei etlichen Demonstrationen suggerieren die Sehnsucht nach einer Rückkehr der Pahlavi-Dynastie, obgleich die iranische Opposition im In- und Ausland sich noch keineswegs auf eine einheitliche Führungspersönlichkeit geeinigt hat.
Wirtschaftlicher Absturz
Der renommierte linke Politologe Fred Halliday, anfangs ein Freund der iranischen Revolution, urteilte kurz nach deren Sieg 1979: "Von allen Ländern der Dritten Welt, ob kapitalistisch oder kommunistisch, ist der Iran eines der entwickeltsten, und er hat eine der höchsten anhaltenden Wachstumsraten." Der Iran war in der Tat ökonomisch-industriell der fortschrittlichste Staat Westasiens und galt als Schwellenland, auf dem Sprung zum Anschluss an die Industrienationen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) zählte 1978 - nur ein Jahr vor der Revolution - den iranischen Rial zu den 16 wertvollsten Währungen der Welt. Diese Entwicklung haben die Mullahs gänzlich an die Wand gefahren.
Derweil bemüht sich Pahlavi um internationale Unterstützung. Doch noch setzen die USA und EU aus wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen in der Iranpolitik de facto weiterhin auf einen Beschwichtigungskurs. Das und der Beistand Russlands und Chinas für den Iran sowie die jüngsten gewieften Schachzüge der Mullahs in der Region (Annäherung an Saudi-Arabien und positive taktische Signale im Nuklearstreit) werden dem Ex-Kronprinzen und den protestierenden Iranern einen Strich durch die Rechnung machen. Überleben die Mullahs so auch ihre schwerste wirtschaftliche und politische Krise? Die Iraner hätten es mit entschlossener Unterstützung des Westens (einschließlich militärischer Natur) leichter.
Die Förderung von Menschenrechten und Demokratie im Nahen Osten gehörte nie zu den Prioritäten des Westens.