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Kommt die Unionsidee zu kurz?

Von Georg Friesenbichler

Europaarchiv

Heute übernimmt Italien von Griechenland die EU-Ratspräsidentschaft. Silvio Berlusconi als Ratspräsident macht den europäischen Diplomaten nicht nur wegen seiner Haltung zur italienischen Justiz Sorgen - es häufen sich auch die Befürchtungen, die seriöse Arbeit könnte unter der sechsmonatigen Amtszeit des begnadeten Selbstdarstellers zu kurz kommen.


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Darauf deutete schon ein Vorstoß des italienischen Premiers in Sachen Verfassung hin - die im Oktober startende Regierungskonferenz, in der der vom Konvent vorgeschlagene Entwurf in eine endgültige Form gegossen werden soll, wird zwar erst unter irischer "Regentschaft" Anfang 2004 zu Ende gehen - dann aber soll die Verfassung in Rom unterzeichnet werden, analog zu jenen "römischen Verträgen", die 1957 die Europäische Union begründeten.

Von der Regierungskonferenz abgesehen, hat Italien weitere große Ziele, die Berlusconi am Mittwoch vor dem Europäischen Parlament in Straßburg darlegen will: Die Erweiterung um zehn neue Mitgliedsländer muss vorbereitet, die Wirtschaft des Kontinents in Schwung gebracht werden. Letzteres darf, wenn es nach Berlusconi geht, auch den Stabilitätspakt gefährden: Er würde höhere Defizite in Kauf nehmen. Kein Wunder, denn Italien droht schon jetzt ein Defiziverfahren.

Bis Ende des Jahres sollen auch die gemeinsamen Richtlinien für das Asylrecht vorliegen. Italien wird den Kampf gegen die illegale Immigration zum Schwerpunkt machen, kündigte Außenminister Franco Frattini am Wochenende an. Das Land ist davon besonders betroffen, und Berlusconis Koalitionspartner Umberto Bossi lässt keine Gelegenheit aus, um ein schärferes Vorgehen gegen die Zuwanderer zu fordern.

Auch die gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik müsste weiter voran getrieben werden. Bislang ist Berlusconi allerdings durch Alleingänge aufgefallen. Zuletzt hatte er bei einem Nahost-Besuch den palästinensischen Präsidenten Arafat nicht treffen wollen und setzte sich in Gegensatz zur EU, die um Äquidistanz zu den Konfliktparteien bemüht ist. In Fragen der Erweiterung hat der Premier schon einmal davon gesprochen, die EU bis nach Russland und Israel auszudehnen. Im Irak-Konflikt schließlich zählte Italien zu jenen Ländern, die sich treu an die Seite der USA gestellt haben. Auch Montag verwies Berlusconi wieder auf die engen Beziehungen zu den Amerikanern und forderte gleichzeitig verstärkte Anstrengungen in der EU-Verteidigungspolitik ein. Dies könnte auf der anderen Seite einer von Berlusconis wenigen Trümpfen sein: Unter seiner Ägide ist der europäisch-amerikanische Riss vielleicht wieder leichter zu kitten.

Heikel könnte die Präsidentschaft der Italiener besonders für Österreich werden. Sie haben bisher eine Nachfolgeregelung für die Ökopunkte erfolgreich blockiert - kommt eine solche bis Jahresende nicht zu Stande, würde der Transitvertrag ersatzlos auslaufen. Die Diplomaten der Union selbst fürchten aus all diesen Gründen, dass das gemeinsame Ganze hinter die nationalen Interessen Italiens zurücktreten könnte. Dazu kommt, dass zwischen Berlusconi und seinem Landsmann, EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, "Eiszeit" herrscht.

Der Medienzar an der Spitze der italienischen Regierung versteht die ganze Aufregung um ihn nicht: "Kein Staats- und Regierungschef ist gegen mich", kommentierte er am Montag die zahlreichen negativen Berichte über seine Person in in- und ausländischen Medien. Das deutsche Magazin "Der Spiegel" hatte ihm eine Titelgeschichte gewidmet. Der Überschrift "Der Pate" wurde mit Sternchen angefügt: "jetzt auch in ganz Europa".