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Nord- und osteuropäische Staaten werben für eine Aussetzung der Vergabe von Touristen-Visa.
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Strandurlaub am Mittelmeer oder eine Einkaufstour in einer europäischen Hauptstadt? Der Gedanke, dass russische Bürger dies tun, während ihr Staatschef einen Krieg in der Ukraine führt, bereitet etlichen EU-Politikern wachsendes Unbehagen. Daher greifen schon einige Regierungen eine Forderung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf: Einreisebeschränkungen bis hin zu einer Sperre für Russen, die in die EU gelangen wollen.
Schon vor Tagen stellte die estnische Premierministerin Kaja Kallas via Kurznachrichtendienst Twitter fest: "Europa zu besuchen, ist ein Privileg, kein Menschenrecht." Ihre Regierung gehört zu denen, die bereits Reisehürden aufgestellt haben. Die Vergabe von Schengen-Visa an Russen wurde ausgesetzt, teilweise wurden sogar bereits ausgestellte Dokumente für ungültig erklärt. Auch Lettland und Litauen, die ebenfalls an Russland angrenzen, haben Beschränkungen auferlegt, ebenso wie Polen und Tschechien. Finnland will ab September folgen: Die Anzahl der Visaanträge, die in Russland angenommen werden können, wird von tausend auf 500 täglich halbiert, und nur hundert der Vermerke sind Touristen vorbehalten.
Reiche kontra Oppositionelle
Zwar ist ein Einreisestopp Teil der EU-Sanktionen gegen den Kreml, doch umfasst er in erster Linie Politiker, Funktionäre, Unternehmer. Touristen beispielsweise sind davon nicht betroffen, zumindest nicht europaweit. Da aber der europäische Luftraum für russische Flugzeuge gesperrt ist, sind die Nachbarn Russlands erste Anlaufstelle für reisewillige Russen. Nach estnischen Behördenangaben passierten zuletzt täglich an die 2.500 russische Staatsbürger die Grenze zu Estland, rund die Hälfte davon mit Touristen-Visa.
Ein koordiniertes Vorgehen der Nachbarstaaten ist denkbar. Das deutete der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis an: Sollte ein EU-weites Verbot nicht möglich sein, könnten Litauen, Estland, Lettland, Polen und Finnland gemeinsam russischen Touristen die Einreise verweigern.
Dennoch wäre den meisten betroffenen Ländern eine einheitliche EU-Vorgabe lieber. Auch Tschechien, das derzeit den EU-Vorsitz innehat, drängt darauf. Denn für den Schengen-Raum, in dem Reisen ohne Grenzkontrollen möglich ist, kann jedes Schengen-Mitglied Visa ausstellen, die für die gesamte Zone gelten.
Die Außenminister der EU könnten darüber bei ihrem informellen Treffen in Prag Ende August debattieren. Dass es schwierig wird, einen Konsens zu finden, zeichnet sich jetzt schon ab.
Differenzen zeigten sich etwa am Mittwoch bei einer Diskussion im Rahmen des Forums Alpbach in Tirol. So plädierte der tschechische Außenminister Jan Lipavsky für eine harschere Politik der EU: Touristen-Visa, die meist an reiche Menschen aus Moskau oder St. Petersburg vergeben würden, sollten eingeschränkt werden. Lipavskys slowenische Amtskollegin Tanja Fajon widersprach: Die Restriktionen könnten ebenso Personen an der Ausreise hindern, die gegen die Politik ihres Präsidenten Wladimir Putin seien und Russland verlassen wollen.
Ähnlich argumentierte bereits vor Tagen der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz. Oppositionellen Russen, die nach Europa wollten und von denen sich schon etliche in EU-Staaten aufhielten, dürfe eine Flucht nicht noch erschwert werden, meinte er. Österreich ist ebenfalls skeptisch. "Mit einem allgemeinen Visastopp wären noch vorhandene Kontakte zu der russischen Zivilgesellschaft kaum mehr möglich", heißt es aus dem Außenministerium in Wien.
Kollektive Verantwortung?
Die EU-Kommission lehnt eine generelle Sperre ab. Vielmehr müsste jeder Antrag einzeln geprüft werden. Die USA und Großbritannien haben dem Wunsch der Ukraine nach einem Einreisestopp für Russen bereits eine klare Absage erteilt.
Kritiker eines Reiseverbots mahnen, dass die EU den Eindruck vermeiden sollte, russischen Bürgern eine Kollektivverantwortung für den Krieg in der Ukraine zuzuschreiben. Auch so mancher Experte rät von einem umfassenden Einreisestopp ab. Dieser wäre "unverhältnismäßig, auch weil die Vergabe humanitärer Visa kaum ausgeweitet werden wird", schreibt etwa Raphael Bossong von der in Berlin ansässigen Stiftung Wissenschaft und Politik in einer aktuellen Analyse.
Stattdessen könnten die bürokratischen Hürden für Reisewillige erhöht werden. So könnte die EU das noch immer bestehende Abkommen zur Visa-Erleichterung mit Russland vollständig suspendieren, meint Bossong. Das würde die Kosten und den Aufwand für touristische Reisen steigern.