Rahr im Interview: Russland will nicht nur Rohstoffreservoir Europas sein. | China als Moskaus "wirklicher Gegner". | "Wiener Zeitung":Im Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Russland finden sich Bekenntnisse zu Demokratie, Menschenrechten und Marktwirtschaft. Russland bewegt sich von diesen Werten weg. Gibt es eine Basis für eine Partnerschaft?
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Alexander Rahr: Wir haben heuer eine Zeitenwende erlebt. Russland ist unter Präsident Wladimir Putin nicht nur selbstbewusster, sondern auch stärker geworden. Es drängt auf die westlichen Märkte. Und wir sind in einer Sackgasse. Die Umwandlung der EU von einer wirtschaftlichen in eine politische Union ist nicht geglückt. Die Nervosität darüber drückt sich in Zweifeln am eigenen Wertemodell aus. Russland hat die Energiecharta 1991 unterzeichnet. Damals befanden sich die Verbraucherländer in einer Position der Stärke. Europa wollte ein Rohstoffreservoir aus Russland machen, aber Russland will das heute nicht mehr. Die Energiecharta ist Schnee von gestern. Es braucht nun eine Partnerschaft, welche die Interessen der Verbraucher-, Transit-, und Produzentenländer gleichermaßen berücksichtigt.
Kann es sich Europa erlauben, in einer Partnerschaft Prinzipien wie Demokratie und Menschenrechte nicht mehr hoch zu halten?
Wir haben die Demokratie unter großen Anstrengungen im Kalten Krieg erkämpft. Wir wollten dem Osten zeigen, dass ein schöneres Entwicklungsmodell möglich ist. Das schien in den 90er-Jahren noch zu klappen. Heute haben wir aber die Situation, dass sich in Russland und China, in undemokratischen Regimen, die Wirtschaft schneller entwickelt.
Die EU ist in der Russland-Politik zerstritten. Aber auch in Russland finden vor den Wahlen 2007/08 Ränkespiele statt. Lassen sich überhaupt Fortschritte erwarten?
Man sollte keine zu hohen Erwartungen haben. Die baltischen Länder und Polen sagen: Entweder wird Russland wie wir oder es kann uns gestohlen bleiben. Die alten EU-Länder müssen die Erfahrungen, welche die neuen osteuropäischen Mitglieder mit der sowjetischen Okkupation machten, ernst nehmen. Aber diese Länder müssen auch akzeptieren, dass es zwischen den alten EU-Ländern und Russland seit 15 Jahren eine Versöhnungspolitik gibt. Es braucht die Politik der kleinen Schritte. Ich stelle mir eine Cohabitation vor, kein geteiltes Europa, sondern eines, das wir gemeinsam bewohnen.
Sie fordern Wandel durch Verflechtung. Wer aber sagt, dass sich Russland durch die Verflechtung nach Europa richten wird?
Man sollte die ideologische Kraft Russlands nicht überschätzen. Russland verfolgt im Moment kommerzielle Interessen in einem rüden Cowboystil. Man hat viel Geld und schmeißt es arrogant raus. Die Verflechtung der Interessen scheint mir der richtige Weg zu sein. Russland wird selbst verstehen, dass es Europa braucht. Denn sein wirklicher Gegner ist China.
In der EU herrscht die Meinung, dass Europa Russland braucht, vor allem für Gaslieferungen. Wer hängt von wem ab?
Es ist eine gegenseitige Abhängigkeit. Wir werden sehen, wie sich Russlands asiatische Energiepartnerschaft entwickelt.
Was erwarten Sie von dem bevorstehenden EU-Russland-Gipfel?
Es wird ein schwieriger Gipfel. Aber mit Putin sind Kompromisse noch möglich. Man muss hoffen, dass nach ihm nicht ein Politiker kommt, dem Europa ganz egal ist.