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Kompromiss rettet Gipfel: EU sagt Ja zur Türkei

Von Martyna Czarnowska, Brüssel

Europaarchiv

Die Europäische Union und die Türkei haben sich auf die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen geeinigt. Die Gespräche sollen am 3. Oktober 2005 beginnen. Bis dahin sollte Ankara mit den zehn neuen EU-Mitgliedstaaten eine Zollunion eingehen - was einer Anerkennung der Republik Zypern gleichkommt. Doch dies ist nur eine Zusage.


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Der Optimismus der vorangegangenen Nacht erwies sich nur vorübergehend als verfrüht. Als der niederländische EU-Ratsvorsitzende Jan Peter Balkenende Donnerstagnacht verkündete, dass ein Kompromiss sich abzeichne, hatte er noch nicht mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan gesprochen. Wie Balkenende berichtete, biete die EU Ankara Beitrittsverhandlungen ab 3. Oktober 2005 an, das Ziel der Gespräche sei ein Beitritt des Landes, wenn auch das Ergebnis nicht garantiert werden könne.

Erdogan zögerte; unannehmbar schienen ihm die Bedingungen der EU. Eine Anerkennung der Republik Zypern komme derzeit nicht in Frage. Doch seine angeblichen Drohungen, die Gespräche auszusetzen und abzureisen, machte Erdogan nicht wahr. Am Freitagnachmittag signalisierte er, eine Absichtserklärung zu Zypern machen zu wollen.

Zähe Verhandlungen gingen der Formulierung der Schlusserklärung voraus. Diese sieht nun die Möglichkeit von langen Übergangsfristen, spezifischen Sicherheitsklauseln oder dauerhaften Sicherheitsklauseln vor, "die permanent verfügbar sind als Grundlage für Schutzmaßnahmen". Die Kommission kann sie in den Bereichen Landwirtschaft oder Arbeitnehmer-Freizügigkeit anwenden. Bei letzterer dürften die EU-Staaten "eine maximale Rolle" spielen. Sollte die Türkei dauerhaft gegen Grundrechte verstoßen, kann die Kommission oder ein Drittel der Mitgliedsländer die Aussetzung der Gespräche beantragen, was der EU-Rat mit einer qualifizierten Mehrheit beschließen muss.

Eine der meistumstrittenen Passagen betraf Zypern. Doch schließlich "begrüßte" die EU den Willen der Türkei, das Ankara-Protokoll und damit eine Zollunion mit Zypern zu unterzeichnen. Doch ob die Einschätzung des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder sich als richtig erweisen wird, ist derzeit noch unklar. Er glaube nicht, dass das Zypern-Problem nun zu einem ständigen Ärgernis innerhalb der EU sein werde. "Wenn die erste Hürde genommen ist, kommt flaches Land", meinte Schröder.

Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass Erdogan die Unterzeichnung des Protokolls von Schritten der griechischen Zyprioten zu einer Lösungsfindung abhängig macht. Diese hatten im April bei einem Referendum mit großer Mehrheit den nach UN-Generalsekretär Kofi Annan benannten Plan zur Wiedervereinigung abgelehnt. Annan, der am Freitag in Brüssel weilte, verfolgte die Entwicklungen "mit leidenschaftlichem Interesse". Eine neue Friedensinitiative kündigte er zwar nicht an. Er sei aber zur Vermittlung bereit: "Wenn die beiden Parteien wieder bereit sind weiterzumachen, können sie meine Dienste in Anspruch nehmen."

Einige der Wünsche, die die griechisch-zypriotische Seite äußert, sind im Annan-Plan enthalten. So würde sich Ankara verpflichten, die im türkischen Norden stationierten Truppen zumindest zu reduzieren. Für den Süden sind die rund 30.000 Soldaten Besatzer, im Norden werden sie als Schutzmacht der türkischen Minderheit bezeichnet. Die Türkei ist das einzige Land, das die 1983 gegründete "Türkische Republik Nordzypern" anerkennt.

Die türkischen Zyprioten, die für den Annan-Plan gestimmt hatten, setzen ihre Hoffnungen nun auf die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara. Denn die Türkei - unter Druck von der EU gebracht - könnte ihrerseits auf weitere Gespräche zwischen den griechischen und türkischen Zyprioten drängen. Sollte nämlich eine Lösung des Zypern-Problems nicht näherrücken, kann Erdogan in der Türkei sein Einlenken kaum rechtfertigen. Schon in Brüssel wollte er klargestellt haben, dass seine Zusagen keinesfalls die Anerkennung Zyperns bedeuten.