Derzeit erlebt die Welt die schlimmste humanitäre Katastrophe seit 2011. Frauen leiden darunter am stärksten.
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Wien. Tierkadaver säumen den Straßenrand. Die Erde ist staubtrocken und aufgerissen. Menschen winken mit leeren Wasserkanistern. So schildert Martina Dase die Lage in Puntland. Vor wenigen Wochen hat die Deutschlandsprecherin der NGO "Save the Children" das Gebiet im Nordosten Somalias besucht.
Die Welt erlebt gerade die schlimmste Hungerkatastrophe seit 2011. Rund 20 Millionen Menschen in Somalia, Äthiopien, Kenia, Nigeria, Jemen und dem Südsudan fehlt es an Nahrungsmitteln und Wasser. Puntland leidet unter der stärksten Dürre seit Jahrzehnten. Die Folgen für die Bevölkerung sind fatal: 6,2 Millionen Menschen in ganz Somalia sind auf Hilfslieferungen angewiesen, davon fast eine Million Kinder.
Eigentlich gibt es in Somalia zwei Regenzeiten: von April bis Juni und von Oktober bis November. "Die letzten vier Regenzeiten sind ausgefallen, und die Prognose für die nächste ist schlecht", sagt Dase. Bei ihrem Besuch hat sie mit einem Komitee der Dorfältesten gesprochen. "Alle haben gesagt, dass sie noch nie so eine Dürre erlebt hätten."
Wenn der Regen ausbleibt, sind die Menschen ihrer Daseinsgrundlage beraubt. Viele leben von der Viehzucht, die Landwirtschaft macht 60 Prozent der Bruttowertschöpfung des Landes aus. Da Lebensmittel knapp und damit teurer geworden sind, haben viele Familien angesparte Reserven bereits aufgebraucht. Zu Hunger und Durst gesellt sich auch noch die Armut.
50 Kilometer bis zum Brunnen
Wasser, ohnehin eine knappe Ressource, wird zum Luxusgut. Die Preise haben sich mitunter vervierfacht. Unter der Wasser- und Nahrungsmittelknappheit leiden besonders die Kinder. 185.000 von ihnen sind schwer mangelernährt. Das heißt, sie sind unmittelbar vom Tod bedroht oder tragen irreparable Gesundheitsschäden davon.
50 Kilometer: Diese Strecke müssen viele Frauen und junge Mädchen zurücklegen, um einen Brunnen mit Wasser zu finden. Frauen sind ohnehin von der Nahrungsknappheit am stärksten betroffen. "Während sich die Männer um das Vieh kümmern, ist es die Aufgabe der Frauen, Wasser zu holen", sagt Ninja Taprogge, Mitarbeiterin der NGO "Care" in Kenia. Je länger die Wege zu Wasserstellen sind, umso höher ist das Risiko von sexuellen Übergriffen. "Oft ist es auch so, dass Frauen sich selbst an letzte Stelle setzen und zuerst ihre Kinder, Männer sowie Ältere mit Wasser versorgen und selbst nur eine Mahlzeit zu sich nehmen", erzählt Taprogge. "Care" versucht darum, Brunnen wieder instand zu setzen, und verteilt Reis und Wasser in den Gemeinden.
Wenn der Regen ausbleibt, kann auch das Vieh nicht mehr mit Wasser versorgt werden. Die Männer harren dennoch bei ihren Tieren aus und versuchen, so viele wie möglich zu retten. Frauen hingegen machen sich alleine auf den Weg, Familien werden so zerrissen. "Bei Vertreibungen oder Flucht sind Männer nur für sich selbst verantwortlich, das ist eine unglaubliche Bürde für Frauen", sagt Annette Weber, Ostafrika-Expertin an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik.
In der Berichterstattung über die Hungerkatastrophe wird meist ein Name als Grund genannt: das Klimaphänomen El Niño. Doch nicht nur das dadurch hervorgerufene extreme Klima hat die dramatische Situation verursacht. In 39 Ländern weltweit gibt es derzeit Versorgungskrisen, in 15 davon sind Konflikte Ursache für den Hunger, schreibt die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, FAO. "Wir haben festgestellt, dass immer mehr Hungersnöte von Konflikten verursacht werden", sagt Weber.
In Somalia zum Beispiel ist staatliche Infrastruktur praktisch nicht vorhanden. Denn jahrzehntelanger Bürgerkrieg und der Konflikt mit der islamistischen Terrormiliz Al-Shabaab haben Spuren im Land hinterlassen - und in der Ernährung der Menschen. Laut einer Studie der FAO fehlten den Menschen in den Jahren zwischen 1971 und 1992 im Schnitt 438 Kalorien pro Tag - rund 20 Prozent des durchschnittlichen täglichen Energiebedarfs eines Erwachsenen. Der Mangel ist noch heute sichtbar: Zwei Drittel der Bevölkerung sind von Hilfslieferungen abhängig.
Ob sich mit dem Anfang Februar neu gewählten Präsidenten Mohamed Abdullahi Farmajo die politische Stabilität Somalias verbessern wird, bleibt fraglich. "Auch die neue Regierung hat keine Möglichkeit, über die gesamte Fläche des Landes zu regieren; die Macht beschränkt sich weitgehend auf die Hauptstadt Mogadischu", lautet die Einschätzung der Ostafrika-Expertin Weber.
Die Dürre ist auch für das World Food Programme (WFP) eine Herausforderung. "Es gibt so viele große Krisen wie nie zuvor. Vor acht Jahren hatten wir ein bis zwei große Krisen pro Jahr, heute gibt es weltweit sechs davon", sagt Ralf Südhoff, Sprecher des WFP. Für die UN-Organisation werde es deshalb immer schwieriger, genug Aufmerksamkeit und folglich auch mehr Geld zu bekommen. Der Bedarf für humanitäre Hilfe, der jeweils zu Jahresbeginn berechnet wird, ist rapide angestiegen. "Im Jahr 2000 lag er weltweit noch bei zwei Milliarden US-Dollar, heuer sind es 22 Milliarden Dollar", berichtet Südhoff.
Täglich verhungern Menschen
Spenden zu akquirieren ist die erste Hürde. Die Hilfsgüter an die bedürftigen Menschen zu verteilen, ist oft ein ebenso schwieriges Unterfangen. Wie im Südsudan etwa, wo Regierungsarmee und Rebellen gegeneinander kämpfen. "Die Konflikte im Land haben unsere Arbeit erschwert, zwei Provinzen waren extrem schwierig zu erreichen", sagt Südhoff. Nur aus der Luft per Helikopter konnten Nahrungsmittel und Wasser an die Menschen verteilt werden. "Das ist sehr aufwendig und teuer im Gegensatz zum Transport mit 50 Lastwägen."
Wie viele Todesopfer die Dürre bereits gefordert hat, lässt sich kaum messen. Südhoff schätzt, dass im Südsudan rund 200 Menschen täglich an den Folgen der Unterernährung sterben. Das Land ist auch das einzige, in dem die Vereinten Nationen offiziell eine Hungersnot ausgerufen haben - das erste Mal überhaupt seit der Tragödie von 2011. Von einer Hungersnot spricht die UNO dann, wenn die Unterernährungsrate bei Kindern mehr als 30 Prozent beträgt, mehr als zwei von 10.000 Menschen sterben und Menschen keinen Zugang zu den wichtigsten Nahrungsmitteln haben. Es ist die letzte Stufe auf einer fünfteiligen Skala. "Ruft man eine Hungersnot aus, ist es ein Zeichen, dass man vorher nicht rechtzeitig helfen konnte, dass wir alle gemeinsam gescheitert sind", sagt Südhoff.