Zum Hauptinhalt springen

Konfliktmahlzeit Nummer eins

Von Christina Böck

Kommentare

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Eine Giraffe vielleicht: Wer wüsste nicht gerne, wie man mit so einem langen Hals lebt (außer Celine Dion). Oder ein Panda: Der weiß, wie man Tagesfreizeit sinnvoll einsetzt: fressen, schlafen, rumkullern. Also, man findet schon ein paar Tiere, in deren Haut man vielleicht einmal gerne schlüpfen würde. Eher in der unteren Hälfte einer solchen Liste wackelt der Truthahn herum. Goder hab ich selber, mag sich der eine oder andere denken. Und dann natürlich ist das Tier an einem speziellen Tag im Jahr eine schwerst bedrohte Art: zu Thanksgiving. An diesem Feiertag in Übersee werden in den USA 46 Millionen Truthähne verspeist. Das ist mehr als fünfmal so viel, wie Österreich Einwohner hat - also menschliche.

Das Konfliktpotenzial über dieser Speise ist erheblich. Das weiß der geübte Film- und Fernsehkonsument auch hierzulande. Tonnenschwere Puter, die vergessen wurden, rechtzeitig aus dem Tiefkühler genommen zu werden, Geflügel, das beim Befüllen unversehens am Kopf der Köchin landet: Das Spektrum der möglichen Unglücksfälle ist breit.

Da erscheint es irgendwie rührend, dass der Radiosender NPR nun eine Umfrage gemacht hat, welches Thema die Amerikaner am Festmahltisch heuer besonders scheuen. 58 Prozent fürchten sich davor, mit ihren Familienmitgliedern über Politik zu sprechen. Wie man aus der einschlägigen (Film-)Literatur weiß, ist aber so ein komplexes Thema gar nicht notwendig, um in Streit zu geraten. Es reicht schon, wenn die Mutter fragt: "Warum bist du noch immer nicht verheiratet?" Oder der Vater: "Warum musstest du ausgerechnet ihn heiraten?"